Politik

Brandherde

am
28. Januar 2011

Immer wenn es irgendwo auf dem Globus eine schwerwiegende Krise gibt, sind die Kommentatoren schnell geneigt, von drohenden Ansteckungsgefahren zu sprechen. So geschehen etwa bei der Krise in der Eurozone. Dabei wird immer wieder gerne das Bild des Domino-Effekts bemüht,  also eine Verkettung von Ereignissen die aufeinander beruhen. Solche Szenarien, sind auf der einen Seite sehr eingängig, sehen logisch und bildhaft aus und werden mit jedem Detail leichter vorstellbar und so für immer wahrscheinlicher gehalten. Auf der anderen Seite wird leider vergessen, dass mit Hinzufügen jedes weiteren Puzzleteils die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Szenarios sinkt – es handelt sich um so genannte verbundene Wahrscheinlichkeiten[i].

Der jüngste Sturz des tunesischen Machthabers hat bei vielen Kommentatoren zu ähnlichen Gedankengebäuden geführt. Nach dem Motto: Wenn es in einem Land des Maghreb Aufstände gibt, wirkt dies wie ein Flächenbrand. Wenn man sich indes den eigentlichen Auslöser für den Aufstand der tunesischen Bevölkerung, eine Selbstverbrennung, vor Augen hält, muss man sich natürlich fragen, warum es anderswo bis dahin nicht ebenfalls schon längst zu Aufständen mit Umstürzen gekommen war. Etwa in Marokko oder Algerien, wo Selbstverbrennungen bis dato keine vergleichbaren Reaktionen ausgelöst hatten.

Ganz anders liegen indes die Dinge in Ägypten. Hier waren nicht notwendigerweise zu hohe Lebensmittelpreise die Ursache für die jüngsten Aufstände, die mit einem Male eine Größenordnung annehmen, die bislang für dieses Land undenkbar waren. Die Menschen hatten ihren Herrscher und die damit verbundene Herrschaftsform jahrzehntelang als etwas Normales akzeptiert – ein Status quo, an dem nur wenige während all der Zeit rütteln wollten. Veränderungen im Machtgefüge des Landes waren für eine große Mehrheit undenkbar.

So gesehen, hatten die Ereignisse in Tunesien per se nichts Ansteckendes. Nein, es war keine Selbstverbrennung eines Menschen, die einen Domino-Effekt ausgelöst hätte. Aber die Vertreibung ihres einstigen Präsidenten Ben Alí hat bei vielen Ägyptern offenbar zu einer Veränderung ihres Wahrnehmungsspektrums geführt: Es wurden Handlungsalternativen vorstellbar, die über Jahre hinweg im Bewusstsein der Menschen verschüttet gewesen sein müssen. Auch weil mit dem Festhalten am Status quo eine gewisse Schicksalsergebenheit, Trägheit oder auch Bequemlichkeit verbunden war. Jetzt hat man offenbar gesehen, dass es auch anders gehen kann. Und dieses „anders gehen“ muss einen so starken positiven Eindruck hinterlassen haben, dass immer mehr Menschen trotz der damit verbundenen Gefahren für Leib und Leben, bereit sind, sich von jenem Status quo zu lösen. Einem immerhin mächtigen Bezugspunkt, mit dessen Aufgabe, psychologisch betrachtet, auch noch eine hohe Normabweichung einhergeht, solange die Proteste nur von wenigen getragen werden. Die Not muss schon groß gewesen sein, um dem Umdenken Taten folgen zu lassen. Demonstrationen, deren Erfolg nicht einmal gewiss ist.


[i] So hätte etwa ein Szenario, das aus fünf voneinander abhängenden Ereignissen mit einer geschätzten Eintrittswahrscheinlichkeit von jeweils 80%, besteht, insgesamt nur eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 0,85 = 32,8 Prozent.

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5 Kommentare
  1. Antworten

    Habnix

    28. Januar 2011

    Ja,ja man darf nicht gleich von einem auf das andere schliesen.

    Guter Beitrag,Danke

  2. Antworten

    Horst Schmidtke

    29. Januar 2011

    Im Magreb brachte, wie 1989 in der DDR ein vergleichsweise marginales Ereignis das Fass zum überlaufen. Der Beschleuniger in 1989 und auch aktuell in Nordafrika sind dann aber die Regime selbst, die mangels Handlungsalternativen mit Gewalt, Durchhaltereden etc. das eigene Ende setzen.

    Wie kann ein 30 Jahre etablierter Diktator von Reformen faseln, dafür wäre lange genug Zeit gewesen. Entsprechend aggressiv reagiert dann die breite Masse auf derlei Fabulieren.

    Jedoch sollte sich der Westen bzw. die Bevölkerung des Westens die Frage stellen, wie Nordafrika dieses Machtgefüge über Jahrzehnte halten konnte. Das ging nämlich nur mit massiver Militär- und Lebensmitelhilfe aus EU und USA. Also tragen wir eine Mitschuld an der nordafrikanischen Misere und waren Jahrzehnte froh, dass die dortige Bevölkerung ruhig gehalten wurde.

    Das eigentliche Problem und die Ursache der „Aufstände“ ist aus meiner Sicht aber weder die Diktatur noch ein singuläres Ereignis. Die Wurzel sehe ich eher hier: http://goo.gl/ZjKKm

    Verdoppelte sich in Deutschland innerhalb 30 Jahren die Bevölkerung, hätten auch wir vergleichbare Probleme…

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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