Aktienmärkte Dollar am Sonntag Hedonomics

Aufstand der Aktien-Underdogs

am
31. Januar 2021

War das, was wir in der vergangenen Woche an den Aktienmärkten erlebt haben, nicht wirklich verrückt? Wobei „verrückt“ sicherlich eine Untertreibung ist. Man könnte auch andere Adjektive, wenn nicht sogar Superlative für den Kampf der Anleger-Communities gegen die Hedgefonds im Internet finden, wobei die Protagonisten fast schon liebevoll von Kommentatoren als „Reddit crowd“ bezeichnet werden. Dass dabei als Abfallprodukt etwa der US-Aktienindex S&P 500 den größten Wochenverlust seit Oktober vergangenen Jahres produziert hat, scheint dabei eine unbedeutende Nebensache zu sein – das hätte auch ohne den Aufstand der Privatanleger geschehen können. Wo doch so viele Kommentatoren ohnehin über die Blase am US-Aktienmarkt geschrieben haben. Fast schon uninteressant zeigte sich indes das Handelsgeschehen um den Euro, der durch eine Dollar-Erholung zeitweise unter Druck gesetzt wurde.

 

Vergleiche mit 1789

Aber zurück zum „Aufstand der Flashmob-Trader von Reddit gegen die Wall Street“, wie etwa die online-Ausgabe des Manager Magazins[1] vor einigen Tagen titelte. Ein Aufstand, der vielerorts Sympathien geweckt hat, weil es um den Kampf der vielen Davids gegen Goliath, um den Aufstand der Underdogs gegen das Establishment ging. Wobei ein Kommentator sogar davon sprach, dass nun der Populismus in den Aktienmärkten Einzug gehalten hätte. Manche verglichen dieses Ereignis sogar mit dem Beginn der Französischen Revolution. Eine Revolution, die paradoxerweise ausgerechnet vom derzeit reichsten Mann der Welt, Elon Musk, vor allem durch entsprechende Tweets unterstützt wird. Das ist genauso verrückt, als wenn beim Aufstand 1789 König Ludwig XVI. die Revoltierenden auf der Straße beim Sturm auf die Bastille angefeuert hätte.

 

Wut, Moral und Gier

Nun scheint es nicht ganz klar zu sein, was die Reddit-Massen tatsächlich antreibt, was ihr Motiv ist. Ist es Klassenkampf, der Wunsch nach mehr Moral in den Märkten, oder doch nur die Gier, schnell reich zu werden. Ich neige dazu, dass das Verhalten der Robinhood-Gemeinde durchaus mit dem der Brexit-Befürworter verglichen werden kann, die sich beim Brexit-Referendum im Jahr 2016 für einen Austritt Großbritanniens aus der EU ausgesprochen hatten. Mit ihrem Votum für den Brexit haben ebenso empörte Bürger ihrer Wut Luft machen wollen: Einmal die Rolle des Richters einnehmen und Ungerechtigkeiten bestrafen dürfen.

Ähnlich verhält es sich doch mit den Reddit-Tradern. Ökonomische Konsequenzen – seien sie nun gut oder schlecht – spielen dabei offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Und auch ich habe mich während der vergangenen Tage immer wieder gefragt, ob man tatsächlich als Kleinanleger mit Hilfe von Schwarmintelligenz durch die Käufe von GameStop-Aktien & Co. im großen Stile Geld verdienen kann. Oder ist alles nur ein Schneeballsystem, bei dem die Ersten gewinnen und das Gros am Ende verliert?

 

Aber Wohlbefinden kostet Geld

Doch darum scheint es nicht zu gehen. Denn eine Labor-Studie hat bereits vor vielen Jahren Aufsehen erregt, weil zwei Drittel der Teilnehmer willens waren, Geld dafür auszugeben, damit Menschen Geld verlieren[2]. So zeigt sich in Ultimatum-Spielen (vgl. HIER) immer wieder ein ganz starker Wunsch nach Fairness. Auch bei meinen Vorträgen zur Behavioral Finance spiele ich mit den Zuhörern fast immer ein Ultimatum-Spiel. Unter anderem, um zu zeigen, dass die Menschen nicht – wie in der Theorie des homo oeconomicus – reine Nutzenmaximierer sind.

In der Spielsituation wird simuliert, dass ein Teilnehmer 10.000 EUR bekommen soll.  Aber nur unter der Bedingung, dass er diesen Betrag mit einem anderen Spieler teilt, wobei er bestimmen darf, wie viel er selbst und wie viel der Andere bekommt. Stimmt dieser der Aufteilung zu, bekommen beide ihr Geld. Lehnt der Mitspieler die vorgeschlagene Verteilung jedoch ab, ist die ganze Summe futsch, und beide gehen beide leer aus.

Indes: Niemand will sich benachteiligt fühlen. Warum soll ich von den 10.000 Euro nicht wenigstens die Hälfte bekommen? Es gibt nicht wenige, die beispielsweise bereit wären, lieber auf vergleichsweise mickrig wirkende 2000 Euro bei solch einem Spiel zu verzichten, damit der andere nicht einfach 8000 Euro bekommt. Obgleich doch andererseits 2.000 EUR deutlich mehr als 1 Cent sind, die man im schlimmsten Falle (etwa vom homo oeconomicus) zugeteilt bekäme. Mit anderen Worten: Man ist bereit, auf ökonomische Gewinnmaximierung verzichten, wenn man andere im Gegenzug für ihre Unfairness bestrafen kann. Gut möglich, dass es auch vielen Kleinanlegern egal ist, Geld zu verlieren, wenn dieser Verlust zu mehr Fairness führt.

 

Nun hätte ich fast den Dollar vergessen, über den ich an dieser Stelle normalerweise schreibe. Aber dieser verharrt gerade, genau wie der Euro, in seiner korrektiven Entwicklung. Für die Gemeinschaftswährung wäre die analoge korrektive Entwicklung im Aufwärtstrend ohnehin erst nach Überschreiten von 1,2235 beendet.

 

[1] https://www.manager-magazin.de/finanzen/boerse/der-aufstand-der-flashmob-trader-gegen-die-wall-street-a-e147f200-b7e6-492b-8e44-0cb1bf76f718

[2] Daniel John Zizzo and Andrew J. Oswald (2001): Are People Willing to Pay to Reduce Others‘ Incomes?, Warwick University

 

Hinweis

Die genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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