Behavioral Living

Auf ein Eis, Frau Staatsanwältin!

am
2. September 2014

Es sind manchmal ganz banale Dinge, die größere Diskussionen auslösen können. So auch bei meiner Frau und mir. So gönne ich mir von Zeit zu Zeit ein Eis in der Tüte, wobei mir als kalorienbewusstem Menschen klar ist: Für mich dürfte es eigentlich nicht mehr als eine Kugel Mango-Fruchteis geben. Eigentlich keine schwierige Entscheidungssituation, könnte man meinen. Aber wer sich mit italienischen Eisdielen auskennt, weiß, dass es beim Kauf von nur einer Kugel Eis oft ein Hörnchen gibt, das wie eine Papierwaffel anmutet. Bei zwei Kugeln besteht die Tüte dagegen meist aus einer wesentlich schmackhafteren und dickeren Waffelvariante. Deswegen entscheide ich mich meist dafür, zwei Kugeln beim Italiener um die Ecke zu ordern: Mango und noch einmal Malaga obendrauf. Natürlich hat eine Malaga-Kugel aus Milcheis wesentlich mehr Kalorien, aber da ich mir jedes Mal vornehme, nur diese zu verzehren und die Mango-Kugel bestenfalls einmal anzutesten und den Rest zu entsorgen, habe ich meinem in Kalorien bemessenen Gewissen zumindest halbwegs Genüge getan.

Meine so zurechtgelegte Welt, vor allem darauf ausgerichtet, möglichst künftigen kognitiven Dissonanzen (sprich: Regret, Bedauern) aus dem Weg zu gehen, ist jedoch seit gestern ins Wanken geraten. Denn zum Abendessen war unter anderem eine pensionierte Staatsanwältin zugegen, der ich meine Strategie präsentierte. „Das ist ja seltsam!“, wandte sie ein. Um sogleich fortzufahren: „Sie kaufen also zwei Kugeln Eis, um eine bessere Waffel zu bekommen, brechen aber den Verzehr auf halbem Wege ab und werfen das Eis samt Waffel weg? Wenn Sie konsequent handeln, kommen Sie demnach gar nicht erst dazu, das Hörnchen, um dessentwillen Sie die größere Eisportion gekauft haben, jemals zu genießen!“ Ich musste zugeben: Ich war vorgeführt bzw. der Irrationalität überführt.

 

Ein Augenblick potenziellen Wohlbefindens

Wie konnte ich nur in eine solch peinliche Situation geraten? Ich, der Befürworter eiserner Disziplin und Rationalität, hatte nun die Wahl, entweder als irrational dazustehen oder der Willensschwäche überführt worden zu sein. Natürlich hatte Frau Staatsanwältin Recht, dass meine Strategie nicht besonders sinnvoll ist. Auch die meisten Ökonomen hätten ihr zugestimmt: Meine Eis-Kauf-Strategie war ökonomisch suboptimal. Geld für etwas zu bezahlen, was man am Ende gar nicht zu verbrauchen beabsichtigt.

Zum Glück gibt es ja auch noch Psychologen. Und die hätten mich wahrscheinlich verstanden. Denn man stelle sich nur einmal vor, wenn ich statt der ersten Malaga-Kugel auch noch peu à peu die Mangokugel abgeschleckt hätte. Das hätte mir natürlich zumindest mentale Bauchschmerzen bereitet, weil ich mehr Kalorien als erlaubt verbraucht hätte. Aber: Genau dieses negative Erlebnis wäre mir immerhin durch eine gute Eiswaffel wieder versüßt worden. Fühlt sich doch viel besser an als eine wässrige kalorienarme Mango-Kugel alleine mit einer schlecht schmeckenden Industriewaffel. Zumindest in der Gegenwart[1]. Und in der lebe ich und nehme manchmal sogar ganz bewusst in Kauf, die Disziplin zugunsten eines kurzen Gefühls des Wohlbefindens schleifen zu lassen.

 

[1] Entscheidungspsychologen würden nämlich einwenden, ich hätte zugunsten eines schnellen Wohlbefindens (Völlerei) in der Gegenwart einen Schaden in der Zukunft (Übergewicht) in Kauf genommen

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2 Kommentare
  1. Antworten

    Maria Lenz

    4. September 2014

    Lieber Herr Goldberg,
    genießen Sie Ihr Eis, solange es noch geht, wer weiß, wie lange Sie noch die Möglichkeit dazu haben! Die Zeiten werden nicht besser! Bevor Sie Ihr Geld verlieren und alles den Bach runter geht. Versuchen Sie noch ein wenig von Ihrem Geld eine schöne Zeit zu gönnen, mit ganz lieben Grüßen M. Lenz

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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