Behavioral Living Gesellschaft Politik

Auf dem Weg zum Glück

am
14. April 2015

Es las sich fast schon ein bisschen süffisant, als die Berliner Zeitung auf den gestrigen Bürgerdialog im Berliner Gasometer hinwies, zu dem die Kanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel eingeladen hatten. Denn Angela Merkel möchte mit den Bürgern über Lebensqualität sprechen, salopp ausgedrückt mit dem Ziel, das Glück zu finden.

Offensichtlich lässt die Bundeskanzlerin in ihrem Bestreben, sich für eine wirksamere Politik der Erkenntnisse der Behavioral Economics zu bedienen, trotz vieler hämischer Kommentare (vgl. etwa mein Blogbeitrag HIER), nicht abbringen. Und weil es ganz im Stile der Town Hall Meetings in den USA am Ende um die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen hierzulande gehen soll, sind natürlich auch die Erkenntnisse der Glücksforschung gefragt.

Ein Grund mehr, an dieser Stelle noch einmal eine Trilogie meines früheren Mitstreiters Herman Brodie aufzugreifen, die sich mit einem wichtigen Thema in Sachen Glück, nämlich der Bedeutung von Aufmerksamkeit, beschäftigt.

Hier der erste Teil* :

 

Über den Einfluss von Aufmerksamkeit bei politischen Strategien

 von Herman Brodie

 

Oskar Wilde beschrieb einmal den Zyniker als einen Menschen, der von allem den Preis und von nichts den Wert kennt. Der Schriftsteller sinnierte auch über Glück[1], aber leider gibt es von ihm keine vergleichbare Definition zur Bedeutung von Aufmerksamkeit: Sie kennt den Wert von allem, aber den Preis von nichts. Gerade für die Suchenden nach dem großen Glück sollte das Thema Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle spielen. Denn wenn die zahlreichen Studien zur Glücksforschung uns eines gelehrt haben, ist es ist es die Erkenntnis, dass weder Freude noch Trauer, Vergnügen noch Schmerz entstehen können, sofern man nicht zuvor darauf aufmerksam geworden ist.

Professor Paul Dolan von der London School of Economics arbeitet sehr eng mit der offiziellen britischen Statistikbehörde, dem Office for National Statistics (ONS) zusammen. Doch wenn die Menschen etwa im Rahmen einer staatlich in Auftrag gegebenen Erhebung danach gefragt werden, was ihnen wichtig sei, zeigt sich der Professor sehr kritisch. Denn allein schon, wenn Menschen eine bestimmte Frage gestellt bekommen, denken Sie schnell über etwas nach, an das sie normalerweise womöglich gar nicht gedacht hätten. Weil ihre Aufmerksamkeit in diesem Augenblick auf eine ganz bestimmte Sache gelenkt und so mit einem Male und meist nur für diesen kurzen Zeitraum der Erhebung wichtig wird. Bereits kurz danach ist das Gefragte schnell vergessen und spielt so für den Interviewten keine Rolle mehr. In der Konsequenz führt dies dazu, dass eine auf der Umfrage basierende politische Strategie mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Realität vorbeigehen wird, weil sie die Menschen nur wenig kümmert. Mit den Worten Daniel Kahnemans ausgedrückt: „Nichts ist im Leben so wichtig wie man denkt, wenn man mal darüber nachdenkt“.

Professor Dolan führte etwa eine Studie durch, um herauszufinden wie sehr der monetäre Wert eines Autos und das Vergnügen, das dieses seinem Besitzer stiftet, zusammenhängen könnten. Er fragte Autofahrer ganz einfach, wie viel Spaß ihnen ihr Auto bereiten würde. Als er die Antworten mit einem objektiven Maß, dem monetären Wert der Autos, verglich, entdeckte er eine positive Korrelation von 40 Prozent. Anders ausgedrückt: Je teurer die Autos, desto größer das Fahrvergnügen.

Doch als der Professor die Frage nur ein wenig abwandelte, änderten sich die Antworten dramatisch: „Wie viel Spaß machte ihnen ihr Wagen, als sie ihn das letzte Mal fuhren?“ Nun war die Korrelation von Fahrvergnügen und Wert des Autos praktisch null – es gab keinen Zusammenhang. Offenbar machte den befragten Personen das Autofahren nur Spaß, wenn sie über die Eigenschaften ihres Fahrzeugs nachdachten, also ihre Aufmerksamkeit darauf gelenkt wurde – ansonsten nicht.

Aus diesem Grund meldet Professor Dolan große Bedenken zu einer staatlichen Politik an, die sich nach Umfragen des Typs „Wie viel sind Sie bereit zu bezahlen, um einen Vorteil X zu bekommen oder einen Nachteil Y zu vermeiden?“ stützen. Viele Menschen kommen nämlich erst auf die Idee, überhaupt über einen Vorteil X oder Nachteil Y nachzudenken, nachdem diese Frage gestellt wurde. Mit der so initiierten Aufmerksamkeit bekommen manche Dinge also eine Bedeutung, die sie normalerweise nie bekommen hätten.

 

[1] „Some cause happiness wherever they go, others whenever they go“, Oscar Wilde – „Manche verbreiten Glück wo auch immer sie hingehen, andere wann auch immer sie gehen“

* (erschien im August 2013 schon einmal unter blognition.de)

Der zweite Teil der Trilogie folgt am kommenden Dienstag

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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