Gesellschaft Politik Wirtschaft

Mit Jesus die Eurozone retten

am
18. März 2013

Mit einigem Erstaunen konnte ich kürzlich auf der Homepage von „Business Insider“[1] lesen, dass nur Jesus den Euro retten könne. Tatsächlich wurde dort vor einigen Tagen aus dem Transskript eines Vortrags zitiert, den der Chef-Devisenstratege der Deutschen Bank, Bilal Hafeez, neulich vor Kunden des deutschen Mittelstandes gehalten hatte. Darin ging es um die Rettung der Eurozone. Diese sei, so Hafeez, mit Vollendung des 14. Lebensjahres seit ihrer Gründung zu einem Teenager herangereift und werde, wie es eben typisch für dieses Alter ist, von inneren Konflikten zerrissen, ringe nach Struktur und zeige sich argwöhnisch gegenüber Autoritäten. Wer könnte in dieser Situation die Rolle eines Vorbildes für die Eurozone übernehmen? Sicherlich nicht Europas Väter, Deutschland und Frankreich. Nein es müsse schon jemand von außen sein, jemand, den alle Europäer respektieren und dessen Charakter und Motive außer Frage stünden. Doch diese Kriterien kann kein Sterblicher erfüllen, denn selbst den fähigsten Menschen können Fehltritte unterlaufen  oder ihre Autorität könnte durch frühere Irrtümer und Verfehlungen untergraben werden. Somit kämen nur Persönlichkeiten in Frage, deren Leben geschichtlich festgehalten sei. Daher kommt der FX-Stratege zu dem Schluss, dass es nur einen gibt, der von den meisten Europäern respektiert wird und der frei von jeder Sünde ist: Jesus!

Ich war zutiefst beeindruckt. Bilal Hafeez hatte sehr weit ausgeholt, um den Johannes-Vers 8,7 als Rettungsrezept für die Eurozone heranzuziehen: „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein [auf sie][2].“ Mit anderen Worten: Die Mitglieder der Eurozone sollten endlich aufhören, sich gegenseitig mit Steinen zu bewerfen, und stattdessen nach Vorne schauen. Denn eigentlich habe jedes Mitglied auf die eine oder andere Weise Vereinbarungen gebrochen. Man denke nur an die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts (Grenzen: für das Haushaltsdefizit 3 Prozent bzw. 60 Prozent des BIP für die staatliche Verschuldung), die auch von Deutschland und Frankreich gebrochen wurden, ohne dass dies irgendwelche Strafen nach sich gezogen hätte.

 

Mit Jesus Christus zum Ethical Banking?

Ja, ich stimme Herrn Hafeez zu! Aber ich frage mich, warum nur Jesus Christus die Eurozone retten können soll. Was ist mit all den Andersgläubigen, von den Atheisten ganz zu schweigen? Gehören die nicht dazu? Oder wollte Hafeez implizit ein Zeichen für den Kulturwandel im Investmentbanking setzen, an dessen Ende gar ein Ethical Banking steht, ausgerichtet an den Vorgaben der Heiligen Schrift? Das wäre in der  Tat ein beachtlicher Schritt!

Auch wenn ich diese Metapher, dass nur Jesus den Euro retten kann, für misslungen halte, hat sie mich dennoch bewegt und bestätigt. Denn ich bin davon überzeugt, dass sich in der Religion, nicht nur im Neuen Testament, Hinweise und Vorschläge für eine Rückbesinnung der Menschen auf ihre inneren Wertvorstellungen entdecken lassen. So enthält bereits der Jahrtausende alte jüdische Talmud mehrere Traktate, in denen versucht wird, Regeln für ein faires ökonomisches Zusammenleben der Menschen zu formulieren. Besäßen diese Regeln heute noch Gültigkeit, hätte es sehr wahrscheinlich nie eine Finanzkrise gegeben.



[2] Tatsächlich geht es in dieser Passage des Johannesevangeliums um die Bestrafung einer beim Ehebruch ertappten Ehefrau

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4 Kommentare
  1. Antworten

    Daisy

    19. März 2013

    Tja, wenn die Bevölkerung tatsächlich die Lehren Jesus zu Herzen nehmen würde, da hätte das Establishment, die oberen Eliten und der Staat arge probleme. Es gab durch aus einen Grund, warum Jesus sterben musste. Er war absolut gegen jede Art von staatlichen und kirchlichen Institutionen. Da der Mensch per se durch Gott mit einem freien Willen geboren wird, hätten diese Institutionen kein recht in Gottes Recht zu pfuschen. Und für die Atheisten da draussen Kant formulierte es so, dass der Mensch a priori mit Vernunft ausgestattet ist.

    „Da sagte er zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien.“
    Johannes 8 / 31-32

    „Da sprach Jesus: Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden.“
    Johannes 9 / 39

    „Von diesem Tag an waren sie entschlossen, ihn zu töten.“
    Johannes 11 / 53

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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