Behavioral Living

Kaffeeklatsch

am
19. September 2012

Beim Kaffee bin ich anspruchsvoll. Wie die meisten Männer. Was habe ich mich schon mit allen möglichen Arten seiner Zubereitung herumgeschlagen! Vom frisch gebrühten immer viel zu starken Sonntagskaffee meiner Mutter über die wässrige Plörre diverser Kaffeemaschinen bis zum Kaffeebereiter der Methode „French Press“. Fast hätte ich meine in Venedig erstandene Bialetti-Mokkakanne vergessen, die leider für unseren Herd nicht geeignet ist. Aber vor gut zwei Jahren bin ich am Ende meiner Kaffee-Odyssee angelangt und leidenschaftlicher Nespresso-Kaffeetrinker geworden. Ja, diese Kapseln, die man einfach nur in die Maschine stecken muss, sind die Erfüllung aller meiner Kaffeeträume. Auch wenn ich weiß, dass die Aluminium-Kapseln nicht gerade umweltfreundlich sind. Und teuer auch noch obendrein. Aber gegen einen stets heißen, wohlschmeckenden Premium-Espresso kommt einem die political correctness schon einmal wie abgestandener kalter Kaffee vor.

 

Premium-Service

Aber eines Tages gab die heißgeliebte Kaffeemaschine ihren Geist auf, so dass ich prüfen konnte, ob der Service von Nespresso dieselbe Qualität wie der Kaffee zu bieten hatte. Nach drei Telefonaten hatte ich den online-Service davon überzeugt, dass auch zweimaliges Entkalken und einmaliges Entlüften der Maschine immer noch kein koffeinhaltiges Getränk entlocken konnten. Und so ließ man mich endlich zum Kundendienst vor, der die Maschine durch einen freundlichen Mitarbeiter abholen ließ. Alles lief professionell, ohne allzu lange Wartezeit mit einem avisierten Zeitfenster von zwei Stunden meiner Wahl – sogar abends oder samstags.

Im Gegenzug stellte mir der freundliche Mitarbeiter im Auftrag von Nespresso eine Ersatzmaschine zur Verfügung, die zwar (zum Glück bin ich kein Latte Macchiato-Trinker) keinen Milchaufschäumer besaß, aber durchaus ihren Zweck erfüllte. Ein Maschinchen mit neonblauer Beleuchtung beim Kaffeekochen, das zwar kleiner als meine große Doppeltankstation, aber dennoch sehr schick gestaltet war. Eigentlich ein Modell zum Verlieben.

 

Verpasste Marketingchance

Sechs Tage später kam endlich meine eigene Maschine zurück. Aber ich frage mich hinterher, warum die Firma Nespresso, nicht höherwertige Geräte als Ersatz im Reparaturfall zur Verfügung stellt und sich den Besitztumseffekt beim Verbraucher zwecks Umsatzsteigerung nicht zunutze macht[1]. Jener Effekt, der dafür sorgt, dass Menschen etwas, das sie einmal in Besitz genommen haben, nicht mehr gerne hergeben. Selbst wenn es sich nur um ein geliehenes Gerät handelt, das zurückgegeben werden muss. Denn der Tausch einer höherwertigen gegen die gewohnte reparaturbedürftige Maschine wird normalerweise beim Kunden als Gewinn wahrgenommen, die spätere Rückgabe des schöneren Gerätes als Verlust. Ein Verlust, der als doppelt so schwer wie der vorherige Gewinn empfunden wird und dessen Dissonanz letztlich nur durch den Kauf der höherwertigen Kaffeemaschine beseitigt werden kann. Auch Leihgeräte könnten ein idealer Werbeträger für die Marke sein.



[1] Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass das Unternehmen mit der Maschine Gewinn machen oder sich durch Alleinstellungsmerkmale derselben die Konkurrenz vom Halse halten möchte.

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv