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23. September 2010

Kürzlich beklagte sich ein Chicagoer Jura-Professer in einem Blog darüber, dass der größte Ausgabenposten seines familiären Haushalts darin bestünde, den Staat zu finanzieren. Nicht nur dies löste geradezu einen Sturm empörter Leser-Reaktionen aus. Denn immerhin verdient der Mann zusammen mit dem Gehalt seiner als Ärztin an einem Krankenhaus arbeitenden Frau jährlich mehr als 250.000 Dollar, womit er – wenn auch nur knapp – in die Gruppe derjenigen fällt, die zum Jahresende nicht mehr vom Steuersenkungsplan des früheren Präsidenten George W. Bush profitieren wird. Der Professor äußerte, seine Haushaltsplanung sei in Zukunft derart angespannt dass seine Familie mehr schlecht als recht durchkäme. Ja, die steuerliche Mehrbelastung sei so hoch, dass er eine seiner beiden legal bei ihm beschäftigten Immigranten entlassen müsste: Entweder den Gärtner oder die Haushaltshilfe, die sich auch um die Kinder kümmert.

Vermutlich dürfte sich diese junge Chicagoer Familie tatsächlich nicht besonders wohlfühlen, wenn sie sich ausgerechnet an der Untergrenze der Reichen mit anderen Haushalten ihrer Steuerklasse messen muss. Man denke nur an all die früheren Jura-Mitstudenten des Professors, die es etwa als Teilhaber berühmter Anwalts-Societäten einkommenstechnisch erheblich weiter gebracht haben. So gesehen, kann man sogar verstehen, dass die Tatsache,  mit solch einem Jahreseinkommen zu den oberen zwei Prozent des Landes zu gehören, die richtig gut verdienen, diese Familie eher zu konsternieren als zu trösten scheint. Schwerer aber dürften vor allem die noch Reicheren in der direkten Nachbarschaft wiegen. Manch einer fühlt sich nämlich nur dann richtig reich, wenn es niemanden mehr gibt, der noch wohlhabender als man selbst ist.

Man kann aber auch all die anderen, die große Mehrheit der Bevölkerung verstehen, für die ein 250.000 Dollar Jahreseinkommen jenseits des „Normalen“ fast schon unvorstellbar erscheint. Weil ihr Einkommensreferenzpunkt nicht peu à peu steigt, sondern real womöglich sogar fällt. Im günstigsten Fall reagieren sie mit Unverständnis, im Falle unseres Jura-Professors, teilweise mit unverhohlener Wut.

Der Staat indes kann auf die unterschiedlichen Referenzpunkte des Professors und der Masse der Bevölkerung – beide sind aus der relativen Sicht des Betrachters verständlich – jedoch keine Rücksicht nehmen. Er muss im einfachsten Fall anhand einer konkreten Zahl bestimmen, wer reich ist. Und in den USA beginnt das zurzeit offenbar mit einem Einkommen von 250.000 US-Dollar.

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1 Kommentar
  1. Antworten

    Horst Schmidtke

    23. September 2010

    Man kann es auch mit Elea Eluanda sagen, die derartige Weisheiten bei 8-jährigen an den werdenen Mann bzw. die werdende Frau bringt: Wir wollten, dass unser Sohn (Ravi) in einer kleinen Stadt groß wird, anstatt in einer großen Stadt klein.

    Das ganze nicht ganz wörtlich zitiert, aber inhaltlich ist es so, dass man bei einer permanenten Orientierung nach „oben“ keinesfalls ein Glücksgefühl erreichen wird, da das Aufblicken eher von Neid/Missgunst und Abfälligkeit nach unten geprägt sein wird. Das Ganze soll aber nicht heißen, dass man sich nicht erfolgreiche Vorbilder suchen sollte. Erfolgreich ist dabei aber nicht unbedingt mit materiell reich gleich zu setzen. Die wirklich Reichen sind nämlich OMHO eher die emotional reichen, als die, die von Rastlosigkeit und Angst getrieben werden… Das letzte Hemd hat keine Taschen bzw. sollte es nicht das Lebensziel sein, der (materiell) Reichste auf dem Friedhof zu werden.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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