Behavioral Living Gesellschaft

Positionsgut Schönheit

am
18. April 2012

Eigentlich war ich relativ beruhigt, als ich am vergangenen Sonntag im Sportstudio eine TV-Sendung zum Thema „Diätwahnsinn“ verfolgte. Während ich unermüdlich auf dem Cross-Trainer strampelte, wurde mir vor allen Dingen eine Einsicht vermittelt: egal, ob Kohlsuppe, Atkins-Diät , Weightwatchers oder Trennkost – das meiste davon bringt langfristig nichts, wenn man nicht bereit ist, diese Form der Kasteiung lebenslänglich zu betreiben. Besonders beruhigend fand ich das Statement eines Medizin-Professors von der Universitätsklinik Lübeck, der meinte, dass es alles nur eine Frage der Kommunikation zwischen Gehirn und Körper sei, und bei chronisch stressgeplagten Menschen funktioniere diese nun einmal besonders schlecht. Ich verstand die tröstliche Botschaft sofort:  Eigentlich kann ich nichts dafür, dass ich übergewichtig bin. So weit, so entlastend.

Aber natürlich habe ich mich gleichzeitig auch gefragt, warum ich mich trotzdem drei bis vier Mal pro Woche auf Ausdauergeräten herumquäle. Klar doch, der Gesundheit wegen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Aber wenn ich ehrlich bin, treibt mich, den Genuss-Menschen, auch noch etwas anderes an. Das was im Grunde die meisten von uns zum Sport und zur Enthaltung von kulinarischen Genüssen bewegt: Wir wollen attraktiv sein. Und als ich dann auch noch in der online- Ausgabe des „Freitag“ las, warum in jüngster Zeit vor allem viele Männer „dem Diät-Wahn erliegen“ und des Narzissmus wegen selbst nach Ostern noch fasten, wurde mir klar: Schönheit ist ein knappes Gut, das sich nicht ohne weiteres vermehren lässt. Anders ausgedrückt, Schönheit ist ein Positionsgut mit allen klassischen Eigenschaften. Wenn ich dann noch lese, wenn Männer zu viel abnehmen, werde daraus  schnell ein gnadenloser Wettbewerb, dann sind alle Voraussetzungen für eine weitere „hedonistische Tretmühle“ gegeben. Nein, heute reicht es anscheinend nicht mehr, das Haus mit der besten Aussicht, das Auto mit der höchsten PS-Zahl und eine Premium-Mitgliedschaft im Golfclub vorweisen zu können. Auf dem Markt der schönsten Lebenslügen hat der die größten Chancen, der am besten aussieht. Und das Diktat des Schlankseins ist anscheinend nicht mehr weiblich, sondern unisex. Immer mehr Männer machen mit beim Abrüsten von Kilogrammen, beim entsagungsreichen Verzicht auf Kalorienzufuhr, um ihre Position an der Partnerschaftsbörse zu verbessern. Dafür sind sie bereit, auch positionsunabhängige Güter wie Freizeit, Ruhe, Entspannung und Genuss aufzugeben. Und das alles unter dem Vorwand, doch nur etwas für seine Gesundheit und für ein längeres Leben tun zu wollen – also lieber lange leiden statt lustvoll leben?

Sie werden mich jetzt sicherlich fragen, was man tun könne, um sich nicht auch noch im Privatleben beim Rennen um Positionsgüter abhetzen zu müssen. Mein Rat ist ebenso simpel wie schwer zu befolgen: einfach nicht mitmachen.

 

 

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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