Behavioral Living Gesellschaft

Fragwürdiger Stolz

am
26. Oktober 2011

Zwar bin ich kein leidenschaftlicher Box-Fan, aber den einen oder anderen Kampf schaue ich mir dennoch gerne im Fernsehen an. So war’s auch am vergangenen Sonntag, als ich in Ausschnitten die Titelverteidigung des Cruiser-Weltmeisters Marco Huck gegen Rogelio Rossi nach Version der WBO verfolgen durfte.Der Argentinier verlor den Kampf in der sechsten Runde durch K.o., war nach dem schweren Niederschlag bewusstlos und musste sogar für einige Zeit vom Arzt behandelt werden. Rossi war zuvor schon drei Mal vom Ringrichter angezählt worden – eine Tatsache, die per se nicht erwähnenswert gewesen wäre. Aber beim ersten Mal wurde Rossi von Huck nach dem Gongschlag zum Ende der vierten Runde schwer getroffen.

Gemäß den Boxregeln wäre dies ein „Nachschlagen“ gewesen, für das der Deutsche hätte disqualifiziert werden können, wenn der irreguläre Treffer den Boxer aus Buenos Aires kampfunfähig gemacht hätte. Während sich nach einem offensichtlichen Foul neun von zehn Fußballspielern im Strafraum theatralisch hätten fallen lassen, um einen Elfmeter zugesprochen zu bekommen, spielte Rogelio Rossi nicht den sterbenden Schwan. Womit ich nicht sagen möchte, dass Boxer generell fairer als Fußballspieler sind. Aber die Haltung des Argentiniers, der offenbar nicht auf diese Weise zum neuen Weltmeister gekürt werden wollte, hat mich positiv überrascht. So auch offenbar seinen Gegner Marco Huck. Diesem gelangen zwar in der fünften Runde zwei weitere markante Treffer, aber sein Trainer, der berühmte Uli Wegner, schimpfte mit seinem Schützling und warf ihm vor, er boxe nicht gut genug.

Ich fragte mich, ob Marco Huck angesichts des noblen Verhaltens seines Gegners möglicherweise für zumindest ein paar Minuten eine Beißhemmung gehabt haben mag, um der Fairness des Gegners in gewisser Weise Anerkennung zu zollen. Am Ende musste der Südamerikaner seine Aufrichtigkeit, möglicherweise aber auch seinen Stolz, mit dem K.o. bezahlen, bei dem es für ein paar Momente sogar so aussah, als ob sich Rossi, der mit dem Kopf auf den Brettern des Ringbodens aufgeschlagen war, schwerwiegende Kopfverletzungen zugezogen hätte. Auch wenn Rogelio Rossi an diesem Abend der moralische Sieger des Kampfes gewesen sein mag, Marco Huck wird ihm gewiss weder den Weltmeistertitel noch die Hälfte seiner Siegesprämie und lukrativen Werbeeinnahmen zukommen lassen. Vielmehr dürfte diese Begebenheit bald schon vergessen sein: The winner takes (it) all.

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1 Kommentar
  1. Antworten

    sunny

    27. Oktober 2011

    Fragwürdiger Stolz oder fragwürdiger Sieg?

    Nach dem Gongschlag, also für den Partner überraschend und aus dem Hinterhalt nachzuschlagen, wow, was für ein tadelloses Hosenschisser-Verhalten von Huck. Siegen, koste es was es wolle. Das ist die Devise für so manch einen verbissenen Sportler.
    Fairness, Respekt vor dem sportlichen Gegner und allgemeinverbindliches Regelwerk (http://de.wikipedia.org/wiki/Fair_Play) zählt für sie nicht. Stattdessen wird gefoult, gedopt und bestochen was das Zeug hält: The winner takes it all – die Siegprämie und den schlechten Ruf gleich mit …

    „Kämpfen um verteidigen Ehre, nicht um verteidigen Titel“ 😉
    aus: Karate Kid (Mr. Miyagi)

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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