Gesellschaft Märkte

Willkommen in der Kammer des Schreckens

am
14. September 2011

Horrorszenarien zum Zerfall der Eurozone sind momentan groß in Mode. Aber nicht nur durch das World Wide Web galoppieren zurzeit ganze Schwadrone apokalyptischer Reiter, nicht nur an vielen Facebook-Boards prangen Menetekel, die uns vor dem Untergang unseres Geldsystems warnen. Nein, sogar das von mir hochgeschätzte „Handelsblatt“, normalerweise nicht als ein Hort der Hysterie bekannt, hat erst unlängst ein eigenes Untergangs-Szenario mit der „Titanic“ in der Hauptrolle entwickelt. Und das wirkte selbst auf mich so überzeugend, dass ich am Ende fast daran geglaubt hätte. Obwohl ich doch eigentlich weiß, dass es sich bei diesen Wenn-Dann-Worst-Case-Szenarien um die künstliche Verknüpfung von Ereignissen handelt, von denen nur eines nicht eintreten muss, um die Kette an möglichen Katastrophen gleich am Anfang abreißen zu lassen.

Interessanterweise lässt sich immer wieder beobachten: Je genauer ein Szenario dargestellt wird, desto mehr Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit wird ihm geschenkt – etwas, nach dem Untergangspropheten offenbar besonders stark streben. Dabei sind es doch genau diese farbigen und detaillierten Bilder über die Zukunft, deren Eintreten wenig wahrscheinlich ist. Man denke nur an ein einfaches Wenn-Dann-Szenario, das aus drei Ereignissen besteht, die miteinander eintreten müssen um einen verheerenden Schaden anzurichten. Selbst wenn man jedem dieser einzelnen Ereignisse für sich betrachtet eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit von 80 Prozent beimessen mag, ist die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe nicht viel höher als fifty-fifty (0,803). Dennoch gilt: Mit fallender Wahrscheinlichkeit steigt offenbar die Glaubwürdigkeit einer Horror-Story.

Im Internet geht die Diskussion indes noch viel weiter. Hier versinkt nicht nur die Titanic im eisigen Meer, hier wird sogleich das Weltenende eingeläutet. Dabei sind alle Geschichten oftmals nach demselben Baukastenprinzip der Wenn-Dann-Szenarien aufgebaut. Nur, dass einzelne Bausteine manchmal auch schlichtweg falsch sind, so dass diese Geschichten sofort in sich zusammenfallen wie das berühmte Kartenhaus. Aber immerhin bietet das Internet heute auch Minderheiten die Chancen, sich weltweit Gehör verschaffen, was ihnen früher stets verwehrt geblieben war. Das ist das Doppelgesicht der neuen Freiheit. So kann ich mich noch daran erinnern, dass es mehrere Verlage noch Anfang 2001 rundweg abgelehnt hatten, eine Sammlung von Essays, in denen überwiegend pessimistische Szenarien entwickelt wurden, überhaupt zu veröffentlichen. Einfach weil sich so ein Buch bei der damals allgemein noch optimistischen Stimmung kaum hätte verkaufen können.

Doch diese Freiheit, dass jeder schreiben und veröffentlichen kann, was er möchte, hat auch ihren Preis. Horror-Szenarien, wie sie derzeit zuhauf im Internet verbreitet werden, sind mittlerweile zu stark repräsentiert, weil sie so schön stimmig klingen und einer scheinbar zwingenden Logik gehorchen. Mehr noch: Selbst wenn viele von ihnen ähnlich klingen und möglicherweise auch der eigenen Meinung entsprechen, ist ihre Wirkung keineswegs gutartig. Denn es ist nur allzu menschlich wenn man diese oft ähnlich klingenden Geschichten nicht als möglicherweise voneinander kopiert ansieht, sondern als jeweilige Bestätigung der anderen versteht. Eine Bestätigung, die deshalb so gefährlich ist, weil sie uns zu einer Meinungsänderung verleitet, die am Ende wesentlich extremer als unsere ursprüngliche Position ausfallen kann.

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9 Kommentare
  1. Antworten

    Holger Neumann

    14. September 2011

    Im Internet ist man der Realität tatsächlich einen großen Schritt „voraus“. hartgeld.com beschwört die Währungsreform zum Wochenende. Das tat man dort zwar schon mehrfach, da die Seite aber zwischendurch immer wieder aktualisiert = gekappt wird, fallen die Fehlprognosen nicht wirklich auf. (Fiktive?) Leser dieser Seite haben schon Geldtransporter, neue Lebensmittelmarken und Vorbereitungen zu Währungsumstellungen bei Banken und Großkonzernen beobachtet.
    Man ist besorgt und geht in Gold. Für die armen Würste bleibt Silber. Der unaufgeklärte Rest = Schafe wird unvorbereitet geschoren.

    In das gleiche Horn blasen goldseiten.de etc. etc. Der Deutsche neigt zum präventiven Selbstmord und die einschlägigen Seiten bedienen eben diese Mentalität

    Problematisch sehe ich analog Ihrer Auffassung, dass derart abstruses „Hetzen“ schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann. Nehmen zu viele Leute das „Flussmittel“ Geld aus dem Kreislauf und tauschen in Gold, dann gibt es konsumtechnisch ein Problem.

    Ich denke, man darf gespannt sein, wie der Knoten entwirrt wird, nachdem das absehbar ungesunde Totsparen ganzer Nationen nunmehr für alle sichtbar gescheitert ist. Letzter Exit wird wohl unvermeidlich Inflation sein. Dabei dann wohl eher eine Inflation bei nicht „vermehrbaren“ Gütern, wie Energie, Essen und Rohstoffen. Die vorab instruierten Goldbugs können dann ihre Barren anbohren und um den Hals tragen, denn letztlich braucht niemand Gold. Und in einer wirklichen Krise kann man auch sehr schwerlich Gold gegen Essen tauschen.

  2. Antworten

    sunny

    14. September 2011

    Hallo Herr Goldberg,

    ich bewundere Ihren Optimismus wirklich sehr, wie schaffen Sie dass bloß in dieser Zeit?

    Eintrittswahrscheinlichkeit hin oder her, manchmal kommt Alles unerwartet und auf einen Schlag – und da wir nicht nur eine Krise in den USA und in Europa haben, sondern auch die Menschen immer ängstlicher in die Zukunft sehen…Man weiß es nicht… Mit dem Schlimmsten rechnen und das Beste hoffen – denn ein Harry Potter (Kammer des Schreckens, 2. Buch von J.K. Rowling) bringt leider nur die Zauberwelt in Hogwards in Ordnung.

    Liebe Grüße

    • Antworten

      Joachim Goldberg

      14. September 2011

      Eigentlich bin ich auch nicht optimistisch. Aber ich weigere mich einfach die Schreckenszenarien mancher Experten kritiklos hinzunehmen. Aber wie ich sehe, sind Sie bereits auf das Schlimmste gefaßt (Referenzpunkt schön tief ;-)), so daß es eigentlich nur eine positive Überraschung geben kann. Das ist Behavioral!

      Nächtliche Grüße, Ihr JG

  3. Antworten

    sunny

    15. September 2011

    Lieber Herr Goldberg,

    als ich vor 3 Jahren den damaligen Bundesbankpräsident Axel Weber neben Angela Merkel vor laufender Kamera gesehen habe, wie er sich die Schweißperlen von der Stirn abwischt, war mir schon alles klar. Heute sieht die Lage noch schlimmer aus.

    Und mal ehrlich, trauen Sie auch nur einem Politiker zu, eine akzeptable Lösung für die jetzige Situation zu finden? Es sind halt auch nur Menschen, die mal mehr mal weniger Staub aufwirbeln und die Märkte lassen sich auf kurze Sicht auch gern davon benebeln.

    Aber auf lange Sicht gesehen würde es mich wirklich wundern, wenn diese Kuh noch heil vom Eis geholt werden kann.

    Naja, über meinen Referenzpunkt sind sie ja im Bild, wie ich lese 😉

    Beste Grüße

  4. Antworten

    Suchender

    16. September 2011

    Gedanken sind frei!

    Das ist ja echte Hetze gegen Menschen mit Kreativität.
    Was Du nicht glauben möchtest lese Dir nicht durch, was Du nicht wissen willst interessiert niemanden.

    • Antworten

      Joachim Goldberg

      16. September 2011

      Lieber Suchender,
      Sie haben vollkommen Recht: Die Gedanken sind frei. Aber nicht nur die Ihrigen, sondern auch die Meinigen. Ich verstehe, dass Ihnen meine Gedanken, die sie offensichtlich nicht einmal richtig gelesen haben, offenbar nicht gefallen. Ich bin ein Fan von Kreativität. Aber Kreativität heißt etwas zu schaffen, nicht etwas zu zerstören! Um es mit Ihren Worten zu sagen: „Es wäre ja wohl noch schöner, wenn ich für eine Geistesleistung, die einem anderen nicht gefällt, eine Schuld aufgeladen bekomme.“

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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