Investmententscheidungen Märkte

Vorhersehbare Überraschung

am
21. September 2016

senti_21092016Ich habe den Eindruck, dass selten über eine Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank (FOMC) so viel diskutiert wurde wie über diejenige, die heute ansteht. Obwohl die Futures-Händler nur eine etwas über 20 Prozent liegende Wahrscheinlichkeit eingepreist haben, dass die Notenbank den Leitzins um 25 Basispunkte erhöhen wird, gibt es offenbar zwei Bankhäuser (Barclays und BNP Paribas[1]), die gegen die Mehrheitsmeinung halten. Anscheinend gehen die beiden nicht nur davon aus, dass der FOMC heute einen Zinsschritt verkünden, sondern dass dies auch die einzige Erhöhung für dieses Jahr bleiben wird.

Auch ich vertrete die Ansicht, dass ein Zinsentscheid am heutigen Tage, verbunden mit der Ansage, für den Rest des Jahres nicht mehr an der Zinsschraube zu drehen, die beste aller Handlungsalternativen für die Fed darstellen würde.

Denn heute wieder nichts zu tun und stattdessen lediglich eine Prognose (bei der Pressekonferenz der heutigen Sitzung des FOMC werden auch die berühmten „dots“[2] publiziert) abzugeben, die eine Zinserhöhung im Dezember implizieren würde, wäre eigentlich ein wenig seltsam. Denn wenn die Fed tatsächlich ernsthaft beabsichtigte, erst in einem Vierteljahr aktiv zu werden, spräche im Grunde doch nichts dagegen, diese Entscheidung sofort umzusetzen.

Aber ich höre schon wieder die Warnungen manches Kommentators, dass eine Zinserhöhung für die Mehrheit der Akteure eine faustdicke Überraschung darstellen und die Finanzmärkte in ein Chaos stürzen könnte. Nein, ein solches Risiko werde die Fed nicht eingehen, ist das Kalkül der meisten Akteure.

 

Außenseitermeinung als Anker

Wenn sich nun tatsächlich eine kleine Gruppe von Analysten gegen die Mehrheitsmeinung stellt und davon ausgeht, dass es heute zu einer überraschenden Zinserhöhung kommt, geschieht dies wahrscheinlich sogar mit einer gewissen Absicht. Denn solange es bei einem verbalen Statement dieser Art bleibt, kostet dies denjenigen, der es abgibt, eigentlich nichts. Aber wenn man mit dieser Außenseitermeinung am heutigen Tage Recht behalten sollte, sähe das fantastisch aus. Mehr aber noch sorgen solche Meinungen, wenn sie von Häusern, die auch noch zu den bevorzugten Anleihe-Handelspartnern der US-Notenbank zählen (vgl. Bloomberg), vorgetragen werden, dafür, dass ein für viele aus heutiger Sicht unerwarteter Zinsschritt nicht mehr wirklich eine Überraschung darstellen würde. Denn die Minderheitsmeinung wirkt wie ein Anker.

Außerdem würden die Markteilnehmer selbst nach einem kurzzeitigen Einbruch der Aktienkurse schnell zu dem Schluss kommen, dass eine vorgezogene Zinserhöhung gar nicht so schlecht sei. Vielleicht kämen sie sogar zu dem Schluss, dass die Fed aus einer Situation der Stärke gehandelt habe.

Ob die hiesigen mittelfristigen orientierten Aktienhändler, die die Börse Frankfurt allwöchentlich nach ihrer Marktmeinung befragt, angesichts der unsicheren Situation Angst haben oder nicht, können Sie HIER meinem heutigen Kommentar entnehmen.

 

[1] vgl. zerohedge.com

[2] Es handelt sich dabei um Zinsprognosen der einzelnen Ausschussmitglieder für die kommenden Quartale

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv