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9. Januar 2014

Nun muss also die Hausbank des Milliardenbetrügers Bernard Madoff[1], JPMorgan Chase, fast 2,6 Milliarden US-Dollar bezahlen, wenn sie langwierige Gerichtsverfahren vermeiden möchte. Immerhin geht ein Großteil davon an die US-Behörden, die damit 1,7 Milliarden Dollar erhalten, um Entschädigung an Madoff-Opfer leisten zu können. Verglichen mit den 9 Milliarden Dollar Schadensersatz, die Bernard Madoff‘s Konkursverwalter Picard Irving vor rund drei Jahren von mehreren europäischen Banken verlangte, scheint dies ein angemessener Betrag zu sein. Seinerzeit verwies die 165 Seiten umfassende Anklageschrift gleich auf mehrere Ungereimtheiten hin: So sollen zum Beispiel offensichtliche Widersprüche in Madoff‘s Kontoauszügen schlichtweg übersehen worden sein. Angeblich war niemandem aufgefallen, dass Handelsdaten auf einen Samstag fielen oder abgerechnete Kurse außerhalb der täglichen Handelsspannen lagen. Und auch um die auffallend hohen Handelsvolumina schien sich niemand zu scheren. Ich selbst habe mich seinerzeit (hier) zu dem Fall aus einem psychologischen Blickwinkel heraus geäußert.

Interessehalber habe ich mir daher auch die Vereinbarung über die Aussetzung der Strafverfolgung, die das US-Justizministerium mit JPMorgan Chase am 6. Januar 2014 abgeschlossen hatte, etwas genauer angesehen. Besonders spannend finde ich den Anhang C dieses so genannten Deferred Prosecution Agreement[2], in dem über 80 Fakten festgehalten wurden. Darin erfährt man etwa, dass bereits Mitte September 2008, in Folge des Lehman-Zusammenbruchs, der Leiter des globalen Aktienhandels von JPMorgan seine Leute dazu angehalten haben soll, die Engagements mit Hedgefonds deutlich zu reduzieren. Doch noch brisanter finde ich in diesem Zusammenhang eine ausführliche E-Mail, die ein für Risikoprüfungen zuständiger Analyst am 16. Oktober 2008 an seinen Chef gesendet hat. Darin konstatiert dieser, dass ihn verschiedene Dinge an der [Madoff]-Geschichte nervös machen würden. Auch von der Furcht der Fondsmanager vor Madoff ist die Rede. Anscheinend wagte es niemand, unbequeme Fragen stellen, solange nur die Performance gut ausfiel. Da erübrigt es sich fast schon, sich darüber aufzuregen, dass der Vorgesetzte auf das Memo vom 16. Oktober mit dem lapidaren Hinweis reagierte, lang laufende Pyramidensystem habe es schon immer gegeben. Aber, so der fast schon spöttisch anmutende Vorschlag, man solle doch einmal Madoff Securities in New York besuchen, um herauszufinden ob es sich nicht um eine Autowaschanlage handele.

 

Erfolg macht unantastbar

Viel gravierender ist jedoch wieder einmal der unterschiedliche Umgang der Menschen mit Gewinnen und Verlusten, der es möglich machte, dass Bernard Madoff offenbar für lange Zeit als unantastbar galt. Denn kritische Fragen und Nachforschungen gab es erst, nachdem dessen große Verluste offenkundig und ausweichlich geworden waren. Bis dahin wurden etwaige Ungereimtheiten von Bankern und Fondsmanagern als dissonant empfunden, weshalb sie auch dazu neigten, vorliegende wichtige Informationen und Nachrichten zu verdrängen, zu verharmlosen, ins Lächerliche zu ziehen oder gar ganz zu ignorieren. Vor allem, wenn diese den Status quo, den Verlust eines wichtigen Kunden, bedrohten. Dabei geht es nicht einmal nur um die damit möglicherweise bedrohten Boni. Wer solches Fehlverhalten aufdeckt, muss im Zweifel nicht nur um seinen eigenen, sondern sogar um den Arbeitsplatz und die vielen daran hängenden Familienschicksale der Kollegen bangen. Wäre ein Schweigen damit sogar ethisch vertretbar? Vielleicht hätte sich das Ponzi-Schema eines Bernard Madoff – dann wahrscheinlich mit noch viel höheren Verlusten –  sogar noch länger am Leben erhalten, wenn es den Zusammenbruch von Lehman Brothers nicht gegeben hätte.



[1] Madoff war für das größte Ponzi-Schema der Geschichte verantwortlich, das schließlich im Dezember 2008 zusammenbrach

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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