Behavioral Living Märkte

Sollzinsen auf Mentale Konten

am
21. September 2010

Alle Welt regt sich derzeit wieder einmal darüber auf, wie die Kreditinstitute mit hohen Sollzinsen angeblich ihre Kunden abzocken, während sie gleichzeitig für Guthaben nur Mageres an Verzinsung anzubieten haben. Nach der jüngsten Studie der Stiftung Warentest verlangen die in Deutschland tätigen Bankinstitute durchschnittlich 12,52 Prozent Zinsen von ihren Kunden, wenn diese ihren Dispositionskredit in Anspruch nehmen.Das scheint vor allem der Bundesverbraucherministerin zu missfallen, denn sie hat eine gesonderte Studie dazu in Auftrag gegeben. Das wiederum nahm ein TV-Kommentator zum Anlass, in gespielter Naivität, die durchaus auch als Zynismus durchgehen könnte, die Frage aufzuwerfen, warum die besorgte Ministerin nicht gleich dazu aufriefe, die Konten auszugleichen, Kredite zu meiden oder gar die Bank zu wechseln.

Wenn jemand von seinen Konten spricht, ergänze ich insgeheim fast immer das Adjektiv „mental“, denn mir fällt immer wieder auf, wie viele meiner Bekannten sich, wenn sie ihr Soll und Haben überdenken, im Geiste einer doppelten Buchführung befleißigen. So kenne ich zum Beispiel eine Familie, die ein Tagesgeldkonto in Höhe von 20.000 Euro besitzt, und das ist ein Betrag, der so rund aussieht, dass allein schon der Gedanke, ihn anzugreifen, wie ein Frevel wirkt, so als würde die Schwelle zwischen den Tausendern eine schier unüberwindbare Barriere darstellen. Da lässt man im Gegenzug lieber das Giro-Konto in die Miesen abrutschen. 1.500 Euro Überziehung ist ja nicht der Rede wert, alles nicht so dramatisch, das können wir schnell wieder aufholen. Reagiert wird erst, wenn das eingeräumte Dispositionslimit von 5.000 Euro erreicht wird.

Und dann gibt es da noch ein Wertpapierdepot mit Festverzinslichen, geerbt vom vor drei Jahren leider verblichenen Opa, das man aus Gründen der Pietät seither nur angeschaut, aber niemals angerührt hat. Was nicht ganz stimmt, denn die Zinsen, die man mental feinsäuberlich als separaten Gewinn verbuchte, wurden zur Aufbesserung des Taschengeldes für den Verbrauch freigegeben. Doch das Kapital ruht auf seinem Konto, als wäre es dort einbetoniert. Aber jetzt hätte ich beinahe ein wichtiges Detail vergessen: Das Depot dient ja als Sicherheit für einen Kredit, mit dem vor einem halben Jahr ein neues Auto angeschafft wurde. Ein Lombardkredit also, der mit knapp 5 Prozent p. a. auch viel günstiger als ein Dispo ist – Hauptsache, Opas Erbe wird nicht angegriffen, und man kann sich weiterhin unbeschwert an den mit Zinsabschlagsteuer belasteten Habenzinsen erfreuen.

Banken-Bashing steht ja zurzeit, um im Bild zu bleiben, ganz hoch im Kurs. Egal, auf welchem Podium die Politiker Platz nehmen, bei Plasberg, Will, Maischberger oder Illner: Stets gerieren sie sich als engagierte Verbraucherschützer, die fordern, die Banken mehr an die Kandare zu nehmen. Wir aber empfehlen bei diesem momentanen Zinsgefälle, alle lieb gewonnenen mentalen Konten endlich einmal miteinander zu verrechnen und in der inneren Buchführung gründlich aufzuräumen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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