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3. November 2010

Noch vor kurzem wurde in den hiesigen Medien von einer sagenhaften Teehausse in China berichtet, die einen fast schon an die Tulpeneuphorie von 1637 erinnerte. Und schon wieder sorgt China für eine Mega-Hausse: Jetzt ist der Bordeaux-Weinmarkt dran. Worüber ich als Wein-Liebhaber, der sich seit Jahren ausgerechnet auf dieses Segment konzentriert hat, eigentlich glücklich sein müsste. Das werden mir vermutlich jetzt einige meiner Freunde sagen. Für mich allerdings ist dieses Glück sehr zwiespältig, denn ich, der Genussmensch, muss mich wieder einmal zwischen Geldverdienen und Genießen entscheiden.

Was ist passiert? Bereits seit einigen Jahren befinden sich Weine aus Bordeaux in einem relativ stabilen Aufwärtstrend, der sich – gemessen am Live-Ex Fine Wine 100  Index* – zuletzt noch einmal deutlich verstärkt hat: In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Preise für die besten Rotweine mehr als verdreifacht. Richtig dramatisch wurde es jedoch erst Ende Oktober, als bei einer Versteigerung des Auktionshauses Sotheby’s in Hongkong eine Flasche Chateau Lafite-Rothschild aus dem Jahre 1869 alle Rekorde brach und für mehr als 233.000 USD den Besitzer wechselte. Und zwei Kisten des gleichen Weines aus dem Jahr 2009, deren Preis vor der Auktion mit 10.000 bis 15.000 USD je Kiste taxiert wurde, fanden erst bei 68.832 USD den Zuschlag. Übrigens: Alle 284 Lots gingen ausnahmslos an asiatische Bieter.

Mehr als 1.000 USD für eine Flasche Wein bei der 2009er Subskription zu bezahlen fand ich schon vor ein paar Monaten irrwitzig, wenn nicht gar dekadent. Aber mehr als 5.000 USD? Klar, den 1869er Lafite wird man vermutlich nie öffnen, sondern als Status-Symbol irgendwo in eine Vitrine stellen. Und auch die anderen überteuren Weine werden zumindest hierzulande nur in seltenen Fällen geöffnet werden. Kein Wunder, dass sich angesichts dieses Höhenrausches allerorten Spekulanten melden, die den schnellen Dollar machen wollen. Zum Nachteil aller Weinliebhaber, die sich das rote Gold nicht mehr leisten, geschweige denn sich trauen, dasselbe die Kehle herunterlaufen zu lassen.

Und so kann man sich glücklich schätzen, wenn man sich bei einer längst ausgebuchten Raritätenprobe des Schweizer Weinpapstes im Herbst 2011 einen Platz ergattert hat. Auch wenn ich selbst diesmal nicht teilnehmen kann, hat mich René Gabriels Versprechen auf seiner Homepage beeindruckt. Er versichert, dieses Event, an dem unter anderem ein 1878er und ein 1887er Chateau Lafite-Rothschild geöffnet werden sollen, nicht unter fadenscheinigen Gründen abzusagen, um die Preziosen mit hohem Gewinn nach Fernost zu verkaufen. Es gibt also doch noch Menschen, denen der gemeinsame Genuss über ihre Gier geht. Auch ich werde meine Weine nicht verkaufen, sondern lieber selbst trinken – und das mit Freude!

*Es handelt sich dabei um die führende Benchmark der Weinindustrie – Bordeaux ist mit etwa 91 Prozent im Index am stärksten vertreten.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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