Märkte Wirtschaft

Replik an Barry Ritholtz

am
30. August 2010

Weil ich ein glühender Verehrer des Ökonomen Barry Ritholtz und seines in den Finanzmärkten weithin bekannten Blogs bin, hat mich ein Beitrag aus der vergangenen Woche besonders interessiert. Denn dieser beschäftigt sich mit den beiden gegensätzlichen  ökonomischen Weltanschauungen: der Markteffizienzhypothese und der so genannten verhaltensorientierten Ökonomie (behavioral economics)  – mit einem aktuellen Bezug zur (vermeintlichen) Blasenbildung am US-Bondmarkt. 

Wie immer brachte mich auch dieses Mal Rithotlz’ mitunter provokanter und amüsanter Post zum Schmunzeln. Auch hätte mich seine Beschreibung der verhaltensorientierten Schule nicht sonderlich umgetrieben, wenn nicht selbst dieser brillante Schreiber sie – wie es auch hierzulande leider oft genug geschieht – auf die üblichen Schlagwörter „Irrationalität“ und „emotionale Prozesse“ reduziert hätte. Dass er aber auch noch den praktischen Nutzen der behavioral economics einzig in Extremphasen der Märkte erkennen will, hat mich dann doch verstimmt. Damit wird er diesem Denkansatz nun wirklich nicht gerecht. Fraglich erscheint mir bereits, ob seine Annahme, Händler hätten ihre Emotionen ohnehin die meiste Zeit unter Kontrolle, tatsächlich zutreffend ist. Mit dieser Behauptung erweckt er den Eindruck, eine verhaltensorientierte Finanzwissenschaft habe es nur mit dem emotionalen Ausnahmezustand, also mit der fatalen Gemengelage von Irrationalität, Angst, Hoffnung und Verzweiflung zu tun.

Das sehe ich entschieden anders. Meines Erachtens zeigt sich der praktische Nutzen der behavioral economics bereits in Situationen, die Freud so treffend als „Psychopathologie des Alltagslebens“ bezeichnet hat. Man nehme zum Beispiel nur einmal ein Phänomen wie die Kognitive Dissonanz. Sie tritt dann ein, wenn man eine Entscheidung getroffen hat, die im Resultat zu keinem Erfolg oder Gewinn führt. Statt sich diese Schlappe einzugestehen und in einem frühen Stadium die noch überschaubaren Verluste zu realisieren, kann man immer wieder beobachten, dass sich die Leute ihre Entscheidung schönreden und nur noch solche Informationen zur Kenntnis nehmen, die sie in ihrem Handeln nachträglich bestätigen. Selektive Wahrnehmung nennt man das in der Fachsprache. Um die durch den Verlust hervorgerufene Dissonanz zu verringern, wird das, was zur Entscheidung passt, stark vergrößert und das, was die Position in Frage stellt, enorm verkleinert wahrgenommen. Das kann bis zur vollständigen Ignoranz gehen. Mit einem Multiplikationseffekt: Denn die selektiv wahrgenommene Information wird auch nur selektiv weitergegeben!

Insofern spielen Phänomene, die die Vertreter der behavioral economics als Erste erkannt und beschrieben haben, bereits in der Entstehungsphase von großen Markttrends eine wichtige Rolle. Das zeigt sich, wenn, wie es in den US-Bondmärkten, aber auch hierzulande schon vorgekommen ist, Markttrends durch langfristige Kapitalströme (z. B. die Kaufprogramme der Notenbanken) begründet werden. Die Kontrahenten dieser Transaktion, die Verkäufer der Bonds, beschreibe ich gerne als gefesselte Verlierer. Mental gefesselt, weil sie es nicht fertig bringen, ihre Verluste zu realisieren, und uns stattdessen während des Aufwärtstrends in den Anleihemärkten immer wieder etwas von Inflationsgefahren, drohendem Staatsbankrott und gefährlichen Blasen erzählen.

Lieber Barry, es mag sein, dass sich die behavioral economics noch nicht überall in der Finanzwelt durchgesetzt haben. Doch hat diese Theorie eindeutig mehr zu bieten als ein psychologisches Handbuch für emotionale Extremsituationen. Allein mit den Erkenntnissen der Prospect Theorie, für die Daniel Kahneman 2002 der Nobelpreis verliehen wurde, könnte man manche Analysen der klassischen Ökonomie endlich vom Kopf auf die Füße stellen. Was dem Stand des Menschen in der Welt auch mehr entspräche.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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