Reineke Trump oder Donald Fuchs?
EUR USD (1,0945) Viele dürften sich gefragt haben, ob es klug von Donald Trump war, das Transskript des Telefonats, das er am 25. Juli mit dem ukrainischen Staatschef Selenskyj geführt hatte, tatsächlich zu veröffentlichen. Und zwar insbesondere deshalb, weil die US-Demokraten im Repräsentantenhaus am Dienstag die Vorbereitungen für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump eingeleitet hatten, weil sie ihm einen Verfassungsbruch vorwerfen. Und seit heute Nachmittag geht es in den US-Medien um nichts anderes, die Empörung ist groß: Dieses Mal könnte Donald Trump zu weit gegangen sein, war heute auch hierzulande immer wieder zu hören.
Eine pessimistische Fabel
Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass auch diese Episode Donald Trump nicht wirklich schaden wird. Tatsächlich mag einen der US-Präsident an Reineke Fuchs erinnern. Reineke Fuchs, die Hauptrolle einer Tierfabel, von Johann Wolfgang von Goethe Ende des 18. Jahrhunderts in fantastische Verse gesetzt. Das Epos, dessen Ursprung bis zum Ende des 15. Jahrhunderts zurückgeht, handelt von dem genialen Fuchs und Übeltäter Reineke Fuchs, der mit allerhand Boshaftigkeit und Niedertracht für sein Auskommen sorgt und sich immer wieder aus fast aussichtslosen Situationen rettet. Und am Ende setzt sich der Fuchs nicht nur gegen alle Widersacher erfolgreich durch, sondern sogar gegenüber dem Vertreter des Guten, dem Wolf Isegrim. Zwar mit allerhand unsportlichen und bösartigen Tricks, aber mit dem pessimistisch stimmenden Resultat, dass das Gute entehrt, das Böse siegt und Reineke sogar letztlich an Ansehen gewinnt und ihm alle Übeltaten vergeben werden.
Trump hat mehr Fans als im August
Aber auch aus anderer Sicht hat Donald Trump längst noch nicht verloren. Zwar leiteten die Demokraten gestern formal die Vorbereitung für ein Impeachment ein, aber bereits jetzt schon ist klar, dass eine derartige Amtsenthebung zwar das Repräsentantenhaus passieren könnte, aber letztlich an der Mehrheit der Republikaner im Senat scheitern dürfte. Jene besetzen nämlich derzeit 53 der dortigen 100 Sitze. Für ein erfolgreiches Impeachment wäre jedoch eine Zweidrittelmehrheit im Senat notwendig. Da müsste schon extrem viel passieren, um die erforderlichen republikanischen Stimmen dafür zu gewinnen.
Vorstellbar wäre das nur, wenn Donald Trump und die Republikaner in der US-Bevölkerung einen großen Teil ihres Rückhalts verlieren würden. Doch schenkt man den jüngsten Umfragen vom Dienstag Glauben, ist die Zahl derjenigen, die Trumps Arbeit gut finden, wieder deutlich gestiegen – einer Umfrage von Emerson zufolge sogar auf ein neues Zweieinhalbjahreshoch von 48 Prozent! Ein großer Teil der US-Bevölkerung bewertet also selbst nach dem Stimmungseinbruch vom August wieder Donald Trumps Politik positiv. Wird sich diese Unterstützung trotz des gestern publizierten Transskripts massiv verringern?
Selektive Wahrnehmung und Komplexitätsaversion
Nach den Erkenntnissen der Behavioral Economics vermutlich nicht. Denn genauso wie die Finanzmarktakteure, die unter dem Eindruck eines Verlustes Informationen selektiv wahrnehmen, dürfte es auch vielen Trump-Fans gehen. Nachrichten, die ihrer Position widersprechen, werden kleingeredet oder gänzlich ignoriert, während Bestätigendes stark vergrößert wahrgenommen wird. Ein Verlust bzw. ein Wechsel des Favoriten wird nur vorgenommen, wenn es gar nicht mehr anders geht. Es ist noch gar nicht so lange her, da zitierte die Washington Post (HIER) Donald Trump mit: „“I could stand in the middle of Fifth Avenue and shoot somebody and wouldn’t lose any voters, okay?”
Aber selbst wenn wechselwillige Trump-Wähler sich abwenden wollten, steht auch noch ein anderes Hindernis im Weg: Die Komplexitätsaversion, die den Menschen innewohnende Abneigung, komplexe Sachverhalte verarbeiten zu müssen. Und die Bewertung des Transskripts von Trumps Telefonat und dem darin erwähnten möglichen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden scheint nun einmal sehr komplex. So komplex, dass die Menschen nun einmal, häufig sogar nur unbewusst, zur Vereinfachung tendieren. Und was bleibt dann stark vereinfachend und stereotyp hängen? Begriffe wie „Joe Biden“ (obwohl nach derzeitigem Stand sein Sohn Hunter keines Vergehens verdächtig ist), „Ukraine“ und „Korruption“. Dafür hat auch die von den Medien angebliche „Flucht nach vorne“ und die heutige Stellungnahme Donald Trumps zum Transskript gesorgt.
Und warum hat sich der Euro plötzlich aus seiner tagelangen Lethargie doch noch gelöst? Aus Risikoaversion der Marktteilnehmer? Dagegen spricht eigentlich die positive Entwicklung an den US-Aktienmärkten. Machen wir es uns doch einfach: Der Euro befindet sich ohnehin in einem kurzfristigen Abwärtstrend, dessen Grenzen nunmehr zwischen 1,1085 und 1,0825/30 verlaufen.
Hinweis
Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.