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Post von Goldberg – Lieber Herr Trichet,

am
13. April 2011

die Meldung, die nukleare Katastrophe in Fukushima werde nunmehr von der japanischen Regierung mit der gleichen Stufe 7 wie das Unglück von Tschernobyl aus dem Jahre 1986 bewertet, löste bei mir sogleich eine Assoziation aus: Ich erinnerte mich sofort wieder an Ihre einleitende Worte zur EZB-Pressekonferenz ein paar Tage zuvor, als sie der Opfer der japanischen Katastrophe gedachten. Kurz zuvor hatte die von Ihnen geleitete Zentralbank die Zinsen für die Eurozone um 0,25 % erhöht.

Sicher könnte man jetzt einwenden: Es gibt keinen „richtigen“ Zeitpunkt für eine Leitzinserhöhung, zumal wenn mit ihr womöglich ein Kurswechsel eingeläutet werden soll. Denn immer wird es neue Fakten, Nachrichten oder Ereignisse geben, die unsere ökonomischen Prognosen beeinflussen könnten. Dennoch bleibt wohl unbestritten, dass die Lage auf unserem Globus während der vergangenen Wochen noch unübersichtlicher als sonst gewesen ist. Nicht nur weil Japan bei seinem Versuch, die äußerst riskante Situation in den havarierten Reaktoren in den Griff zu bekommen, immer wieder von massiven Nachbeben heimgesucht wurde. Zu allem Übel musste am Abend vor der Zinsentscheidung auch noch Portugal die EU und den IWF um Hilfe bitten, ganz zu schweigen von den bevorstehenden Wahlen in Finnland, bei denen zu befürchten steht, dass hitzige Euroskeptiker an die Regierung kommen werden – und das in einem Land, dessen Zustimmung für alle Rettungsverträge notwendig ist. Wäre es daher wirklich so absurd gewesen, den Zinsentscheid zumindest um einen Monat zurückzustellen, in der berechtigten Hoffnung, bis dahin eine etwas klarere Sicht der Dinge zu gewinnen? Zumal diese Verschiebung sicherlich den mittelfristigen Inflationsausblick nicht wesentlich verändert hätte.

Und hatten nicht Sie selbst zugegeben, dass es vorranging externe Faktoren gewesen seien, die die derzeitige Inflation verursacht hätten? Bekommt man diese Faktoren mit Zinserhöhungen so ohne weiteres unter Kontrolle? Darüber hinaus schätzen Sie doch die konjunkturellen Aussichten für die Eurozone momentan als leicht positiv und die Risiken als ausgewogen ein, nicht ohne einzuräumen, dass die Prognoseunsicherheit sich gleichzeitig deutlich erhöht habe. Interessanterweise scheinen Sie im Gegensatz zu früher aber auch nicht wirklich mehr die Geldmengen­-Aggregate zu berücksichtigen. Dabei hatte sich die Zentralbank bei ihren Zinsentscheidungen doch stets dazu bekannt, dass die Geldmenge eine der beiden Säulen sei, auf die sie ihrer Politik stützen wolle. Tatsächlich ist das Geldmengenwachstum derzeit so niedrig, dass man daraus wohl kaum auf eine steigende Inflation schließen dürfte. Aber auch die derzeitige Inflationsrate von schätzungsweise 2,6 % befindet sich nicht wesentlich über der Zielzone der EZB – am Montagabend hatten Ökonomen des IWF sogar prognostiziert, die Kernrate werde noch vor dem Jahresende in Europa in den Zielbereich zurückkehren.

Lieber Herr Trichet, warum um alles in der Welt haben Sie diesen Schalter gerade jetzt umgelegt? War mit der „starken Wachsamkeit“ das „Pre-Commitment“  (eine Festlegung im Voraus, von der Sie doch normalerweise nie etwas wissen wollen) so hoch, dass man einen Politikwechsel um jeden Preis vorantreiben musste, egal, was in den folgenden vier Wochen passieren würde?

Herzlichst

Ihr

J. F. Goldberg

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3 Kommentare
  1. Antworten

    Horst Schmidtke

    13. April 2011

    Man darf gespannt sein, was eine Zinserhöhung am Ende kostet. Die Schulden werden teurer, die Verbraucher unsicherer und die Wirtschaft, außer einigen deutschen Exporteuren weiß eh weder ein noch aus.

    Wir waren vergangene Woche in Portugal und konnten somit live erleben, wie es sich anfühlt, wenn eine Wirtschaft sich totspart…

    Wie sagten die Herren der PSM Vermögensverwaltung so schön: Inflationieren oder Bankrottgehen, dass sind die Alternativen. EZB, Merkel & Co. haben sich offenbar für letzteres entschieden. Von Entscheidern, die außerhalb der Wirtschaft sozialisiert wurden, kann man aber letztlich auch nichts anderes erwarten. Diese Damen und Herren denken in betriebswirtschaftlichen DImensionen und managen einen Nationalstaat wie einen 4-PErsonen-Haushalt. Nur generiert der 4-PErsonenhaushalt im Gegensatz zum Staat mit Ausgaben mittelbar keine Einnahmen und kann tatsächlich sparen. Spart der Staat bei den Investitionen, muss er mehr für die Verwaltung/Ruhigstellung der Arbeitslosen aufwenden. Entsprechend switcht er nur zwischen Zukunftsinvestition und Konsumtion um.

    Am Ende hat keine Kommune mehr einen Hilfsarbeiter, der die Gullys entschlammt, dafür aber 100 Hilfsarbeiter, die zu erträglichen Konditionen zu Hause sitzen und bei Vernachlässigung des Grundbedarfs als Konsumenten und Steuerzahler entfallen.

    Man kann gespannt sein, wie man sich aus diesem Disaster wieder heraus sparen will und wohin Deutschland bei all der Sparsamkeit noch exportieren will/kann.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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