Märkte Politik Wirtschaft

Panik mit Ansage

am
8. August 2011

In vielen Blogs konnte man es schon seit Wochen nachlesen: Das, was von offizieller Seite den Marktteilnehmern und auch denen, die sich nicht alltäglich mit den Finanzmärkten befassen, erzählt werde, stimme in Wahrheit gar nicht. Die einzige Frage, die vor allem die Verschwörungstheoretiker beschäftigte, war, welcher der vier apokalyptischen Reiter[1] derzeit durch die Märkte galoppiere. Aber auch in den herkömmlichen Zeitungen und bekannten Fernsehsendern wurde der Kurssturz, der seit Montag vergangener Woche alleine den DAX vorübergehend mehr als bis zu 15 Prozent seines Wertes gekostet hat, unter der Überschrift „Panik“ verbucht.

Dabei hätte doch die meisten diese Entwicklung gar nicht überraschen dürfen. Denn schon seit einigen Monaten haben sich die Akteure immer wieder gefragt, warum es mit dem Aktienmarkt nicht schon längst nach unten gegangen ist. Genau genommen haben wir in einer Woche das erlebt, was sich in früheren Zeiten über mehrere Monate hinweg abgespielt hätte.

Aus Sicht der verhaltensorientierten Analyse ist Panik allerdings nichts anderes als ein kollektiver Kontrollverlust. Eine hoch ansteckende Verunsicherung, weil niemand mehr die (Börsen)welt versteht. Obwohl man interessanterweise aus fundamentaler Sicht meinte, alle Krisen und Probleme psychisch bereits bewältigt zu haben. So wusste man um die immer wieder aufflammende Euro- Krise, die immer noch ungelöst ist. Und beim quälenden Theater um den US-Schulden Kompromiss war den meisten bereits ziemlich früh klar, dass die USA in letzter Minute doch noch aus diesem Schlamassel herausfinden würden. Wenn auch nur mit einem Minimalkonsens. Und selbst die seit Wochen ausgesprochene Drohung der Ratingagentur Standard & Poor’s, der USA die Top-Bonität abzusprechen, sofern die Sparprogramme nicht mindestens ein Volumen von vier Billionen Dollar aufwiesen, hat viele Akteure nie wirklich beunruhigt.

Die Frage, die ich jedoch in den vergangenen 48 Stunden am meisten zu hören bekam, war, ob es am heutigen Montag zu einer neuerlichen Panik käme, weil eben diese Ratingagentur die Vereinigten Staaten von Amerika nun tatsächlich herabgestuft hat. Das machte mich stutzig, weil eine Panik mit Ansage ein Widerspruch in sich selbst ist. Immerhin war Standard & Poor’s so gnädig, diese Entscheidung am Wochenende zu publizieren und gönnte der Welt damit eine kleine Atempause, um diese Nachricht verdauen zu können. Obwohl sie ja alles andere als unerwartet eintraf. Was wäre denn andererseits geschehen, wenn Standard & Poor’s seiner Drohung keine Taten hätte folgen lassen? In großes Geschrei wären viele Akteure ausgebrochen: Das sei ja mal wieder typisch, bei den USA drücke man beide Augen zu, während man die anderen, europäische Länder zum Beispiel, eiskalt deklassiere.

Im Grunde haben die Börsen nur vollzogen, was längst fällig gewesen war. So gesehen hätte es gar keinen kollektiven Kontrollverlust, keine Panik geben dürfen. Zumal sich die fundamentale Situation während der vergangenen beiden Wochen nicht verändert hat. Das Einzige, was uns wohl alle erschreckt hat, war das Tempo, mit dem sich dieser Absturz vollzog, und das nach einer Phase relativer Ruhe, an die sich offenbar viele gewöhnt hatten. Dabei wissen – und das ist eher untypisch für eine Panik – viele Analysten und Händler, warum dies alles geschieht. Nein, die Krise, die einst in den USA mit einer Immobilienmisere begann,  sei eigentlich nie zu einem Ende gekommen, war gestern in einer renommierten Tageszeitung zu lesen. Von der „Road to Recovery“, die im Jahr 2009 von einem US-Fernsehsender pathetisch beschworen wurde, scheint man also schon recht bald wieder abgebogen zu sein.

Mir ist das Panikgeschrei ein bisschen zu laut geworden. Und es heulen anscheinend diejenigen am heftigsten, die vermutlich schon längst keine Aktien mehr besitzen. Ja, wenn ich manchen Kommentar durchlese, meine ich, eine gewisse Genugtuung darin zu spüren. Dieses Gefühl wohligen Grauens in Anbetracht der Lage, welche man allerdings aus sicherer Distanz beobachtet, gepaart mit der Gewissheit, dass man selbst das alles ja habe kommen sehen und oft genug davor gewarnt hatte. Aber wurden diese Warnungen leichtfertig in den Wind geschlagen, haben die Märkte sie nicht ernst genommen? Im Grunde stimmt das nicht. Denn vielleicht hat am vergangenen Montag ja nur ein großer Fonds, ein mächtiger Marktteilnehmer, seine Aktienquote adjustieren wollen und Papiere im großen Stil verkauft. Zu einem in seinen Augen günstigen Zeitpunkt, weil der Rest der Börsenwelt gerade meinte, nach dem Schuldenkompromiss in den USA sei das Schlimmste überstanden. Am Ende aber zählen bei der Entwicklung eines Marktpreises allein  Angebot und Nachfrage, ungeachtet aller rationalen Begründungen. Angebot, das sich in einer gehebelten („geleveragten“) und mittlerweile hoch korrelierten Finanzwelt mit ganz anderer Wucht als zu früheren Zeiten entfaltet. Und das ist ein Umstand, an den wir uns schleunigst gewöhnen sollten.


[1] Darunter versteht man die Boten des nahenden Weltuntergangs, vgl. Johannesevangelium, Buch der Offenbarung, Kapitel 6

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv