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Lehrstunde bei Hollister

am
12. Juli 2010

Eigentlich gehöre ich nicht zu den Menschen, die sich beim Einkaufen freiwillig in eine Schlange stellen. Wenn da nicht meine Tochter wäre, die mich eines Samstags so weit hatte, dass ich bereit war, mit ihr in eine Disco zu gehen. Mitten am Tag. Zumindest sah der Laden, um den es ging, von außen so aus: Ein Holzhaus, mitten im Frankfurter Einkaufszentrum MyZeil, dessen Eingang von zwei muskulösen, barbrüstigen, blonden Türstehern aufs Strengste bewacht wurde. Nein, dort spielte keine Band, für die es sich gelohnt hätte, eine gute halbe Stunde anzustehen. Vielmehr handelte es sich um eine Boutique, die hippe Kleidung nach dem Vorbild Kalifornien-Urlaub vornehmlich an 10- bis 18-jährige Kinder verkauft. In den USA hat die Tochtermarke von Abercrombie & Fitch immerhin schon mehr als 500 Filialen, in Deutschland gerade einmal einen einzigen Ableger: Hollister.

Mittlerweile haben sich vor dem Geschäft zwei Warteschlangen aufgebaut. In einer der beiden stehe ich. Mit meiner Tochter, die ich nicht mehr eines Vernünftigen belehren kann, weil sie Hollister einfach „cool“ findet. Da kann ich lange über das ökonomische Knappheitsgesetz dozieren. Eine künstlich arrangierte Knappheit, die durch den gut bewachten Eingang noch einmal unterstrichen wird.

Ich merke, wie ich in die Commitment-Falle getappt bin, fühle mich irgendwie mies dabei. Die Schlange scheint kaum kürzer werden zu wollen, weil die Türsteher immer nur so viele Leute in den Laden herein lassen, wie zuvor heraus gekommen sind. Endlich haben wir es geschafft. Drinnen ist es dunkel. Einzelne Spots beleuchten das wirklich schöne Angebot. Models und Musik sollen eine Welt der Entspannung vermitteln. Und weil eine halbe Stunde Anstehen nicht umsonst gewesen sein soll, sagt mir meine Tochter gleich alle Wünsche auf einmal auf. Aber dieses Mal bleibe ich relativ hart, weil ich schon einmal vom Sunk Cost Effekt gehört habe – die Rechnung bleibt unter 100 Euro.

Aber dann platzt mir der Kragen. Einmal Anstehen, verstehe ich ja noch als Marketing-Gag. Aber an der Kasse noch einmal 20 Minuten warten, um bezahlen zu dürfen? Ich murmle etwas von Stop-Loss vor mich hin, aber meine Tochter wäre enttäuscht, wenn ich das Vorhaben gerade jetzt abbräche.

Doch ich werde mich rächen, dachte ich. Und so verließen wir – ich verärgert, meine Tochter überglücklich – die Boutique. Ich schnappte mir den letzten Familienvater aus einer der beiden Warteschlangen und verriet ihm, dass er nicht nur einmal vor dem Laden eine halbe Stunde, sondern auch noch für die Umkleide und an der Kasse mindestens noch einmal soviel Zeit investieren müsse. Die Reaktion: Ein Achselzucken und ein Blick, als ob ich von einem anderen Stern wäre.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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