Märkte Wirtschaft

Keiner weiß mehr

am
18. November 2013

Warum hat mir das niemand früher gesagt? So las ich gerade mit großem Erstaunen einen Beitrag auf Spiegel Online, in dem erklärt wurde, wie man als Sparer sein Vermögen vor Deflation schützen kann. Dabei beruft sich der Autor auf eine Studie der Credit Suisse, die in Zusammenarbeit mit der London Business School[1] durchgeführt wurde und in der man die jährliche Entwicklung aller großen Anlageklassen in den 19 wichtigsten Ländern der Welt bis zum Jahr 1900 zurückberechnet hat. Im Ergebnis kommt die Studie, die übrigens nicht ganz brandneu ist – sie wurde offenbar bereits im Februar 2012 publiziert –, nicht nur zu dem Schluss, dass Deflation kein seltenes Phänomen ist. Viel wichtiger ist die Erkenntnis, dass sich in Zeiten extremer Inflation Aktien, obwohl sie gemeinhin doch als besonders wirksamer Schutz gegen [moderate] Inflation gelten, im Schnitt per Saldo um 12 Prozent nachgegeben haben, während sie in einem extrem deflationären Umfeld eine reale Rendite von durchschnittlich 11 Prozent pro Jahr erbracht haben sollen.

Richtig interessant wird es aber, wenn es um Gold geht. Natürlich verweist der Autor dieses Beitrags darauf, dass Gold über lange Zeit preisgebunden war. Auf das brisante Ergebnis der Studie möchte er dennoch nicht verzichten: Bei einer anhaltend hohen Inflation hat Gold, so das Resümee der Untersuchung, seinen Besitzern praktisch nichts gebracht, während die höchsten reale Erträge mit dem gelben Metall in Zeiten extremer Deflation (durchschnittlich 12 Prozent pro Jahr) erzielt worden sein sollen. Da können sich die Goldbugs, nachdem sie, offensichtlich fehlgeleitet von ihrer Intuition und vor lauter Inflationsangst, zumindest während der vergangenen beiden Jahre aufs falsche Pferd gesetzt haben, jetzt doch entspannt zurücklehnen, denn aktuell zeichnet sich für Europa und die USA unverkennbar die Gefahr einer baldigen Deflation ab.

 

Wenn Angebot und Nachfrage sich nicht frei entfalten

Da haben sich die Statistiker wirklich viel Mühe gegeben, das muss man ihnen in jedem Fall attestieren. Zumal seit dem Jahr 1900 auf unserer Welt ja Einiges passiert ist. Da gab es Wirtschaftskrisen und Wirtschaftswunderjahre, da gab es Friedenszeiten und Kriege. Merkwürdigerweise handelt es sich bei der Studie aber nur um eine jährliche Betrachtung, so dass sich in 112 Jahren für 19 Länder gerade einmal 2128 Datenpunkte ergeben. Aber nicht nur deswegen erscheint mir ein Vergleich der heutigen Situation an den Finanzmärkten mit der Historie von etwas mehr als 100 Jahren fragwürdig, vor allem wenn man bedenkt, dass die US-Notenbank – historisch einmalig – durch ihre quantitativen Lockerungsprogramme so viel Geld gedruckt hat, dass man von einer massiven Intervention im Anleihemarkt sprechen kann, mit Auswirkungen auf alle anderen Anlageklassen. Mehr noch: Wenn die Anleiherenditen quasi manipuliert sind, darf man getrost davon ausgehen, dass die Preise anderer Anlageklassen ebenfalls nicht die fundamentale Realität (wenn es so etwas überhaupt gibt) widerspiegeln.

Wenn sich aber Angebot und Nachfrage in Märkten nicht frei entfalten können, braucht man sich nicht zu wundern, wenn gängige (Prognose-)modelle, die für und in „normalen“ Zeiten geschaffen wurden, ihren Dienst versagen und auch Experten sich abzeichnende stärkere Bewegungen nicht mehr frühzeitig vorhersagen können. Genau dies mag auch ein Grund dafür sein, warum sich derzeit nur wenige über die jüngsten Höchststände an den Aktienmärkten wirklich freuen können. Weil sie diese Entwicklung nicht haben kommen sehen und deshalb auch nicht daran partizipieren.



[1] Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook 2012

 

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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