Kein Umfaller
Was haben einige Kommentatoren heute Axel Weber kritisiert, weil er seine Meinung hinsichtlich der Liquiditätsmaßnahmen seitens der EZB geändert hat. Manch einer bescheinigt dem ehemaligen Oberfalken nicht nur, er sei zur Taube mutiert. Nein, es ging soweit, dass er sogar als „Umfaller“ tituliert wurde – womöglich, weil er seine Chancen verbessern wolle, um im Jahr 2011 Nachfolger von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet zu werden.
Natürlich hat sich der Bundesbankchef Anfang Mai mit Trichet und anderen Ratsmitgliedern der EZB offen angelegt als er sich kritisch zu den Anleihekäufen äußerte. Man könnte auch sagen, er war in der EZB das, was der Fed-Präsident von Kansas, Thomas Hoenig, für die US-Notenbank war: Ein einsamer Rufer in Sachen Inflationsbekämpfung. Solche Persönlichkeiten spielen in Gremien wie dem EZB-Rat nicht nur die Rolle eines advocatus diaboli. Vielmehr sind sie Beleg dafür, dass bei Entscheidungen von so großer Tragweite nicht nach dem Motto „eine Meinung, eine Information, eine Lösung“ verfahren wird, sondern auch kritisches Denken gefragt ist. Letztlich, um auch zu guten Entscheidungen zu kommen und nicht Opfer des so genannten Groupthink-Modells zu werden, für das das Streben nach gemeinsamen Normen und Harmonie (als Selbstzweck) eine Randbedingung darstellt.
So gesehen waren die kritischen Stimmen seinerzeit, Weber habe sich mit seiner offen vorgetragenen Kritik nicht diplomatisch verhalten, nicht hilfreich. Denn Groupthink kann gerade an den Finanzmärkten verheerende Auswirkungen haben, weil nicht mehr ausreichend nach Informationen gesucht wird und nur Meldungen Beachtung finden, die die Position rechtfertigen oder bestätigen. Die Folge: Mögliche Risiken einer Entscheidung werden unterschätzt. Und so wird manches, offensichtlich zum Scheitern verurteilte Projekt unnötig verlängert, an manch politischer Entscheidung so hartnäckig festgehalten, bis sie in ein Desaster führt – die Geschichte kennt dafür zahlreiche Beispiele.
Wenn sich Axel Weber am Ende für eine Verlängerung der expansiven Politik bis ins kommende Jahr ausspricht, mag dies als Modifikation einer früheren Ansicht gewertet werden, mit der im Übrigen von Anfang an ein hohes Commitment verbunden war. Weil sie gegen eine Gruppennorm verstieß und auch noch öffentlich geäußert wurde. Solch eine Meinung ist nicht so einfach zu ändern und wird ganz bestimmt nicht plötzlich auf dem Altar der Diplomatie geopfert. Sie im Ernstfall zu überdenken, ist nicht als „Umfallen“ zu werten. Sondern, wenn Weber seine Einstellung wirklich geändert hat, sogar als Zeichen der Stärke. Dann werden wir uns allerdings die Frage stellen müssen, was den Bundesbankpräsidenten tatsächlich zur Aufgabe dieses Commitments gezwungen hat