Behavioral Living Gesellschaft

Jenseits von Gut und Böse III: Ab in den Urlaub

am
1. März 2011

Normalerweise kümmere ich mich nicht um Werbe-Mails mit Urlaubsangeboten, aber die, die ich am 24. Februar in meinem Outlook-Postfach vorfand, sprang mir dennoch ins Auge. So ließ mich der Betreff  „In Ägypten wird gefeiert – feiern Sie mit!“ neugierig und nachdenklich zugleich werden. Und dann las ich: „Lieber Herr Goldberg, die Ferienflieger starten endlich wieder Richtung Ägypten! Wir haben für Sie die besten Angebote am Roten Meer herausgesucht – Luxushotels zu bezahlbaren Preisen. Also nicht lange warten und zugreifen! Buchen Sie Ihren Urlaub, z.B. im 5-Sterne-Hotel Grand Resort Hurghada ab 436 Euro in der Juniorsuite und feiern Sie mit den Ägyptern ihre neu erlangte Demokratie. Einen schönen Urlaub wünscht Ihnen Ihre Anja Stern.“

Was für eine Geschmacklosigkeit, dachte ich mir in einer ersten Reaktion. Nachdem sich offenbar der erste Pulverdampf der Revolution verzogen hat, will man mir also die Gelegenheit geben, noch schnell an den „Feierlichkeiten“ teilzunehmen. Vielleicht war das Angebot sogar gut gemeint, möglicherweise steckte dahinter die Idee, ich könne bei dieser Gelegenheit mental noch einmal das erhebende Gefühl „unseres“ Mauerfalls in Deutschland 1989 erleben, dieses Mal nun im sonnigen und warmen Ägypten und in einer Art Retro-Urlaub. Vielleicht würde man mir aber auch vorwerfen, dass ich zu wenig Mitgefühl für das noch vor zwei Wochen krisengeschüttelte Land zeigte. Schließlich ist Ägypten in erheblichem Maße auf die Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen, der jedoch wegen der instabilen Lage in den vergangenen Wochen massiv eingebrochen war. Dort hinzureisen könnte also auch als ein Akt der Solidarität mit den revolutionären Massen verstanden werden.

Und dann versuchte ich mir vorzustellen, wie ich im Resort in Hurghada oder Sharm El Sheikh in der nunmehr wieder verfügbaren Präsidentensuite (so die Werbung in der Email des Veranstalters) mit den ägyptischen Hotelbediensteten deren Befreiung feiern würde – nachdem diese mein Bett gemacht, mir das Frühstück serviert und den Pool für mein erquickendes Bad gereinigt haben. Sollten wir gemeinsam eine Flasche Sekt leeren, wie damals in Berlin? – Undenkbar. Oder würde ich, um des authentischen Erlebnisses willen, sogar einen Ausflug zum Tahrir-Platz, dem „Platz der Befreiung“ in Kairo, wagen, um mir den Geist der Revolte noch einmal direkt um die Nase wehen zu lassen?

Haben sich die Normen für guten Anstand in den vergangenen Wochen tatsächlich verschoben, frage ich mich. Vielleicht bekomme ich ja demnächst von einem Reiseveranstalter eine Rundreise „auf den Spuren geglückter Revolutionen“ angeboten. Mit Übernachtungen in diversen, nun vakanten Diktatorenpalästen. Und einer Rücktrittsoption für einzelne Zwischenstationen, falls der Boden dort wider Erwarten doch noch etwas zu heiß sein sollte.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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