Märkte Politik

Freundliche Übernahme

am
20. Januar 2011

Alles andere als einig scheinen sich die europäischen Finanzminister über die zukünftige Ausgestaltung des Rettungsfonds zu sein. Allen ist zwar klar, dass er besser und flexibler werden muss, doch über die konkreten Details herrscht bislang kein Konsens. Und so konnte man am vergangenen Montag auch keine gemeinsame Stellungnahme abgeben. Aber Eile scheint ja nicht geboten. Zumal Portugal und Spanien zuletzt keine Probleme hatten, ihre Anleihen zu platzieren. Immerhin: die EU-Kommission will spätestens beim Gipfel im März eine dauerhafte Lösung der Schuldenkrise präsentieren. Und wenn auch wieder nur ein Minimalkonsens oder überhaupt keine Lösung zu Stande kommen sollte? Dann gibt es sicherlich noch andere, die bereitwillig ihre Hilfe anbieten.

Gemeint ist natürlich China, das angesichts des Staatsbesuchs seines Präsidenten Hu Jintao in den USA derzeit die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse beherrscht. Tatsächlich hat sich China im einen oder anderen Falle schon als Helfer eines in Not geratenen Peripherielandes gezeigt. Allein die jüngst  bekräftigte Absicht, Anleihen zu kaufen und mit Spanien Handelsverträge in Höhe von sieben Mrd. Euro abzuschließen, dürfte sicherlich attraktiver klingen, als sich im Extremfall demütig unter einen Rettungsschirm begeben zu müssen. Die Versuchung unter den krisengeschüttelten Euroländern ist also groß, statt auf eigene, gemeinsame Lösungen im Zweifel abermals auf Chinas Hilfe zu setzen. Sei es nur, dass eine Anleihe sozusagen unter dem Tisch, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, an chinesische Geldgeber verkauft wird. Ja, selbst für Deutschland lässt sich das Ganze auf eine einfache Formel reduzieren: Wo China hilft, brauchen wir nicht zu helfen. Dabei müsste doch allen Beteiligten klar sein, dass derlei Großzügigkeit auch ihren Preis hat. Ein Preis, der nicht heute, aber in der ferneren Zukunft zu zahlen ist. Sollten wir nicht aus der Finanzkrise gelernt haben, verlockende Gewinne lieber nicht sofort und mit dem Risiko künftiger hoher Verluste vom Tisch zu nehmen? Mangelnde Selbstkontrolle (myopic loss aversion) nennen dies die Vertreter der Behavioral Economics.

Wie solche Verluste in der Zukunft aussehen können, zeigen uns verschiedene Länder in Afrika, die in den Genuss chinesischer Hilfestellung gerieten. Etwa die erdölreichen Staaten Nigeria, Sudan und Angola. Tatsächlich haben die Chinesen in den vergangenen Jahren überall in Afrika Milliarden Dollar ausgeliehen, gebunden an wenige Bedingungen. Sie halfen mit, Straßen, Brücken und Kraftwerke zu bauen. Und bei der Gelegenheit haben sie auch gleich ihre eigenen Arbeitskräfte mitgebracht: Auf den Baustellen arbeiten Chinesen und Einheimische zusammen. Man könne sich lebhaft ausmalen, wer dort die guten Jobs bekommt und wer die Drecksarbeit machen darf, meinen Kritiker[i]. Ja, das soll sogar so weit gehen, dass China neuerdings Häftlinge aus den eigenen Gefängnissen nach Afrika exportiert hat, wodurch der Anteil heimischer Arbeiter auf ein Minimum reduziert wurde[ii]. Nachdem ich das gehört hatte, verstand ich den Satz, den ich neulich in einem schwedischen Kriminalroman las, dass es nämlich noch nie so viele Sklaven auf der Welt gegeben habe wie in unseren ach so modernen, aufgeklärten Zeiten.

Man kann also, ohne zu übertreiben, sagen, dass China mittlerweile überall auf dem Kontinent präsent ist und sich damit nicht nur den Zugang zu wichtigen Rohstoffen, sondern auch einen Absatzmarkt für eigene Produkte erobert hat.

Könnte Europa dasselbe Schicksal drohen? Hoffentlich stehen am Ende dieser freundlichen Rettungsaktion nicht auch in Europa jede Menge Unternehmen, die in Chinas Besitz übergegangen sind, samt ihres Know-how[iii]. Und qualifizierte, tüchtige und preisgünstige Arbeitskräfte, die bringt der freundliche Helfer dann auch noch gleich mit.


[i]  China in Africa, CBC News, 2010/03/29

[ii] Chellaney, Brahma China‘s newest export: convicts, guardian.co.uk vom 29.7.2010

[iii] Zur Verdeutlichung: Deutschlands Exportvolumen in die Staaten Griechenland, Italien, Portugal und Spanien betrug allein im Jahre 2009 rund 100 Mrd. Euro

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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