Händler, sei wachsam!
Seit vergangenem Donnerstag scheint die europäische Zinswelt sich verändert zu haben: Denn die Wortwahl des EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet nach der turnusmäßigen Sitzung der Währungshüter fiel mit einem Mal viel schärfer aus als erwartet. „Strong vigilance“, sagte er und meinte das Zauberwort für eine wahrscheinlich unmittelbar bevorstehende Zinserhöhung. Und wie schon bei früheren Gelegenheiten werteten Akteure, Analysten und Kommentatoren jedes einzelne seiner Worte akribisch aus. Denn der EZB-Präsident entschied sich auch dieses Mal für die Form der verklausulierten Kommunikation: Das hat den Vorteil, dass die Beobachter lediglich früher einmal gespeicherte Schemata aus ihrem Gedächtnis abrufen und vergleichen müssen, welche Entscheidungen in der Vergangenheit einer bestimmten Wortwahl folgten.
Leider hat dieser überstarke Gebrauch von Schemata nicht nur den Vorteil, schnell zu einem Schluss zu kommen, sondern auch den Nachteil – wie alle Faustregeln – nicht genügend Aspekte bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. „Strongly vigilant“ das ist das Schlüsselwort, auf das alle achten. Und damit können sich die Akteure jetzt gar nichts anderes mehr als eine Zinserhöhung im April vorstellen – alles andere wäre eine brutale Überraschung, eine „unvorstellbar gemeine Falle“ der EZB, kann man vielerorts derzeit zu hören bekommen.
Ich möchte an dieser Stelle gar nicht darüber spekulieren, ob Zinserhöhungen in einem Umfeld steigender Energie- und Lebensmittelpreise überhaupt Sinn machen. Oder ob ein Zinsschritt von einem Viertelprozent der ohnehin schon schwachen EU-Konjunktur gleich den Garaus machen würde. Wichtig für mich ist nur, dass die Zentralbank am Ende zwischen diesen beiden Polen steht: Wachstum oder Inflation. Wofür sie sich letztlich entscheidet, können Beobachter nur erahnen, oder heraushören, aus einem „strongly vigilant“.
Wie ungleich klarer wären da englische Verhältnisse: Auch die Bank von England steht angesichts ihres seit vielen Monaten häufig überschrittenen Inflationsziels bei gleichzeitig schwacher Konjunktur und einschneidenden Sparplänen der Regierung immer wieder vor der Entscheidung, ob sie die Zinsen erhöhen soll oder nicht. Doch sie kann zumindest offener mit ihrem Dilemma umgehen: Im offiziellen Protokoll der jeweiligen Sitzung wird festgehalten, wie viele Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses für und wie viele gegen eine Zinserhöhung gestimmt haben.
Bis Mitte Januar war dort nur ein einziger Falke, Andrew Sentance, zu finden. Mittlerweile ist der Befürworter steigender Zinsen nicht mehr alleine. So gaben zwei frühere Mitglieder des MPC, DeAnne Julius und Tim Besley, an, hätten sie noch etwas zu sagen, hätten sie aus Angst vor steigender Inflation für eine Zinserhöhung gestimmt. Aber beide hätten ihr Votum nur abgeben wollen, wenn ihre Stimme nicht das Zünglein an der Waage für einen Beschluss gewesen wäre.
Eine solche Vorgehensweise hat den Charme, dass man nicht mit einer Zinserhöhung das Wachstum abwürgt, trotzdem aber signalisiert, dass man die Inflation im Blick hat. Nachteil für die Akteure an den Märkten: Die Anzahl der Befürworter einer Zinserhöhung, also die Anzahl der Falken, sagt nichts über die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Zinsschrittes aus. Aber damit kennen sich die Marktteilnehmer im Vereinten Königreich sicherlich aus.
Leider hat Jean-Claude Trichet mangels offiziellem Sitzungsprotokoll diese Option nicht. Aber er hat statt einer Zinsentscheidung die Möglichkeit, bei der nächsten Sitzung wieder nur „strongly vigilant“ zu sein. Vielleicht auch ein drittes oder viertes Mal. Damit würde er sowohl Wachstumswächter als auch Inflationshüter zufriedenstellen. Froh macht das die Märkte indes nicht, haben doch die Händler längst eine mögliche Zinserhöhung eingepreist. Und wehe, sie kommt dann nicht, dann wird es richtig teuer. Da bliebe eigentlich nur eins: immer hübsch wachsam sein, eben „strongly vigilant“.