Eine Vorhersage der Vergangenheit
Während der vergangenen Jahre hat es bereits einige wissenschaftliche Untersuchungen zur Prognosegüte von Finanzmarktanalysen gegeben. Aber wenige sind so umfangreich wie die jüngste Studie eines Teams, das von Professor Dr. Markus Spiwoks[i] geleitet wurde: Sie umfasst etwa zehn Jahre an Zinsvorhersagen für zwölf entwickelte Industrienationen, was einer Gesamtzahl von fast 160.000 Vorhersagen entspricht. Wenn man sich einmal die Prognosen für die Rendite deutscher Anleihen ansieht, ist das Ergebnis für die Analysten nicht gerade schmeichelhaft. Dabei zeigt die erste Grafik die 10-Jahresrendite und den dazugehörigen Prognosewert, den die Analysten 13 Monate zuvor – gezeigt wird die Konsensschätzung – abgegeben hatten.
Wenn man nun die Vorhersagekurve um 13 Monate nach links verschiebt, wird eine frappierende Korrelation mit dem tatsächlichen Renditeverlauf erkennbar: Die Prognosen haben einen sehr starken Bezug zum jeweiligen Trend, der zum Zeitpunkt der Vorhersage gerade vorherrschte. Will sagen: Der vorherrschende Markttrend hat einen größeren Einfluss auf die Prognosen als irgendein ein vorstellbares Ereignis, das in der Zukunft stattfinden könnte.
Auf den ersten Blick könnte man sogar meinen, dass diese Vorhersagen naiv seien. Aber die Autoren der Studie zeigen, dass dem nicht so ist. Vielmehr würden die Vorhersagen durch typische und systematische Verhaltensfaktoren beeinflusst. Etwa die Verankerungsheuristik oder Herdenverhalten. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn wären die Vorhersagen naiv, hätten sie keinen Einfluss auf etwaige Marktineffizienzen – sie würden sich über kurz oder lang gegenseitig aufheben. Wenn die Prognosen jedoch systematisch verzerrt sind, tragen sie exakt dazu bei, dass Finanzmärkte eben nicht effizient sein können.
[i] Spiwoks, M. et al. Trapped in the Here and Now – New Insights into Financial Market Analysts Behavior. Wolfsburg 2011