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Fluch und Segen des Commitments

am
7. September 2011

Am morgigen Donnerstag wird die EZB – wenn es nach einigen Analysten geht –  eine schwierige Entscheidung zu treffen haben. Denn im Grunde müsste sie ihre Politik überdenken, möglicherweise Zinserhöhungen in Frage stellen, die nie hätten stattfinden dürfen – der Nobelpreisträger Joseph Stieglitz forderte kürzlich sogar deren Rücknahme. Ich störe mich vor allem an der zweiten Erhöhung dieses Jahres um ein Viertelprozent vom 7. Juli. Weil sich Jean-Claude Trichet mit seiner Formulierung der „starken Wachsamkeit“ in der Sitzung zuvor bereits festgelegt hatte – obgleich der EZB-Präsident doch betont hatte: „We never pre-commit!“. Wir selbst hatten uns allerdings schon bei der ersten Zinserhöhung im April gefragt, was denn eigentlich noch passieren müsse, damit die EZB den ebenfalls durch ein „strongly vigilant“ gerade eingeleiteten Politikwechsel und die geplante Serie von Zinserhöhungen zumindest aufschieben würde.

So ist ein Commitment, eine Bindung an eine aus heutiger Sicht allemal zweifelhafte Entscheidung entstanden, wodurch eine schnelle Abkehr von weiteren Zinserhöhungen oder sogar eine rasche Zinssenkung momentan als äußerst unwahrscheinlich gelten müssen. Denn ein echter Kurswechsel käme dem Eingeständnis gleich, dass vor allem die Zinserhöhung vom Juli keine gute Entscheidung gewesen war[1]. Nicht weil uns die ökonomische Realität mittlerweile eines Besseren belehrt hat, nicht weil die Inflationsgefahren oder die Wachstumschancen deutlich gesunken sind. Sondern weil es damals den Anschein hatte, als ob – komme, was wolle – auf das Codewort“ strongly vigilant“ in der nächsten EZB-Sitzung Taten (ein Zinsschritt) zu folgen hätten. Das ist nichts anderes als selektives Entscheiden.

Damit steht aber aus psychologischer Sicht auch so gut wie fest, dass die EZB bestenfalls eine Pause im derzeitigen Zinszyklus einlegen kann. Allein schon, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie ändere ihren mittelfristigen Inflationsausblick wie ein Fähnchen im Wind oder habe sich womöglich dem Druck der Aktienmärkte gebeugt. Denn in der schwierigen Lage, in der sich die Eurozone momentan befindet, träte mit einer Zinssenkung auch noch ein Gesichtsverlust ein, während ein Viertelprozent für die Praxis allenfalls symbolische Bedeutung besäße. So gesehen kann ein Commitment manchmal auch ein Segen sein.



[1] Es sei denn, die EZB hätte sich mit den beiden diesjährigen Zinserhöhungen bewusst Munition beschafft, um im äußersten Krisenfall mit einer schnellen Zinssenkung flexibel reagieren zu können.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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