Behavioral Living Gesellschaft

Eine langwierige Entscheidung

am
28. April 2016

Freund B. Ist ziemlich wohlhabend. So gut betucht, dass er seiner 20-jährigen Tochter demnächst eine Eigentumswohnung kaufen will. Denn B. hat wie viele andere Anleger Angst vor Negativzinsen und will so einer schleichenden Erosion seines Vermögens entgehen. 500.000 Euro für eine 120 Quadratmeter große Altbauwohnung in einer deutschen Großstadt, das ist ein akzeptabler Preis, aber selbst für B. kein Pappenstiel, auch wenn er das Geld ohne größere Probleme aus seinem Vermögen aufbringen kann. Daher war es verwunderlich, dass er 20 Prozent des Kaufbetrags über ein Immobiliendarlehen finanzieren wollte. Er fühle sich damit einfach besser, so seine Erklärung. Außerdem würde seine Tochter ja nicht mietfrei in der Wohnung leben, sondern durchaus eine halbwegs marktgerechte Miete bezahlen müssen. Und mit der könnte er locker den Kredit bedienen, rechnete er mir neulich bei einem gemeinsamen Abendessen vor.

Jetzt galt es eigentlich nur noch, die besten Konditionen für einen Immobilienkredit mit zehn Jahre Laufzeit – dann hätte B. das Rentenalter erreicht – zu finden. Da gab es zum einen die Hausbank, deren schnörkelloses und transparentes Angebot am teuersten war. Ein anderes Kreditinstitut schlug vor, das Darlehen mit einem Bausparvertrag zu kombinieren. Das wäre Platz zwei gewesen. Doch wurmte es B., dass er als kostenbewusster Kreditnehmer eine Abschlussgebühr von einem Prozent der Bausparsumme (O-Ton: „Wer die wohl bekommt?“) bezahlen sollte. Umso besser, dass es noch einen dritten Anbieter, einen Lebensversicherer, gab, der mit Abstand die besten Konditionen zu bieten hatte.

Aber eine Versicherungsgesellschaft würde ihrem Namen nicht gerecht, wenn sie mit einem solchen Baudarlehen keine Risikolebensversicherung verknüpfen würde. Interessanterweise nicht auf das Leben des Kreditnehmers, sondern auf das der lieben Tochter. „Nein“, sagte der Versicherungsberater, B. müsse nicht unbedingt so eine Versicherung abschließen, aber dann würde der Kredit eben ein kleines bisschen (etwas mehr als die Versicherungsprämie) teurer. Klar, dass sich der kostenbewusste B. wie ein homo oeconomicus für das Darlehen mit Risikolebensversicherung entschied.

 

Angst vor späterer Reue

Aber B. ist eben nicht nur ein kalt kalkulierender homo oeconomicus, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und die Angst, die B. in seinem Leben am meisten umtreibt, war wohl die, eine wichtige Entscheidung hinterher bereuen (regret) zu müssen. Kein Wunder also, dass B. noch einmal seine Tochter einer Befragung über ihren Freund, der mit in die neue Wohnung einziehen sollte, unterzog. Ob die Liaison zehn Jahre Kreditlaufzeit überstehen würde? Ob dem Freund zuzutrauen wäre, sich mit einer neuen Partnerin in der Wohnung einzunisten und sich eiskalt weigern könnte, auszuziehen? Solche und andere Szenarien wurden durchgespielt, die Tochter schwankte zwischen Wut über die Unterstellungen des Vaters und eigenen nagenden Zweifeln hin und her, kurz: Das familiäre Klima war empfindlich gestört.

Hätte B. bei seinem zumindest zum Teil nachvollziehbaren Misstrauen nicht besser das ganze Vorhaben abblasen sollen?

Vielleicht weil B. gleichzeitig immer noch die drohenden Negativzinsen im Hinterkopf hatte, sah er schließlich ein, dass es für den glücklichen Fortbestand von Freundschaften, Beziehungen oder Ehen keine Garantie gibt. B., überglücklich, seine Zweifel überwunden zu haben, rief seinen Kreditberater an, er sei „abschlussreif“.

Wenn da nicht der Gesundheitsfragebogen für die Versicherung seiner Tochter gewesen wäre.

 

Die Macht der mentalen Konten

Nicht dass sie in irgendeiner Weise Vorerkrankungen oder ähnliches vorzuweisen gehabt hätte. Aber sie rauchte. Und dieser Umstand erhöhte die Prämie für die Lebensversicherung um 2,70 Euro pro Jahr. Kosten, die B. den Rest gaben. Jetzt also noch so ein kleiner fieser Extra-Verlust nach all den interfamiliären Zweifeln und Diskussionen!

B. traf eine Entscheidung, die er gleich hätte treffen sollen: Er verzichtete auf den Kredit.

Denn solche nachträglichen Verluste, seien sie auch noch so klein, werden bei demjenigen, der sie bezahlen muss, separat (als zusätzliches mentales Verlustkonto) wahrgenommen und hinterlassen einen schalen Nachgeschmack. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, der Darlehensgeber hätte die Lebensversicherung von vornherein etwas teurer (d. h. die Kosten aggregiert) gestaltet? Das wäre vermutlich unbemerkt geblieben.

Mehr noch: Wenn B.‘s Tochter gar Nichtraucherin gewesen wäre. Das hätte dann die Versicherung nachträglich ein bisschen günstiger gemacht – B. hätte sich wegen des mentalen Zusatzgewinns gut gefühlt und die Finanzierung ohne Zögern gerne abgeschlossen.

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE
5 Kommentare
  1. Antworten

    WOM

    28. April 2016

    Genau so isses: Wer Geld braucht wird mit optisch günstigen Konditionen gelockt, aber hinterher teuer abgezockt. Wer kein Geld braucht (wie B.), dem geht es genauso. Wehe dem, der den heutigen Versuchungen des billigen Geldes erliegt. Er wird später doppelt draufzahlen !!!

  2. Antworten

    jerobeam

    29. April 2016

    Ich verstehe nicht warum man zur „Hausbank“ gehen muss.
    Einfach mal verschiedene Banken abklopfen oder zu einem Vermittler wie z.B. Inhterhyp gehen.
    Bei Beleihung von nur 20% hätte er doch Super-Konditionen (um die 1%) bekommen müssen.

  3. Antworten

    Felix

    29. April 2016

    Viel Zeit und Nerven verloren.
    Geld breit (diversifiziert) anlegen und fertig. Die Immobilienpreise sind ohnehin stark gestiegen in den Großstädten. Und wenn eines sicher ist: es bleibt nichts wie es ist.
    Trotzdem schöne Anekdote – wir haben was zum Schmunzeln 🙂

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv