Ein klares Wort
Nicht wenige Kommentatoren dürften diese Äußerung als historisch bewertet haben. So hatte EZB-Präsident Mario Draghi erklärt, der EZB-Rat erwarte, dass die Zinsen für einen längeren Zeitraum auf dem gegenwärtigen Niveau oder darunter blieben. Damit hatte Draghi für viele etwas noch nie Dagewesenes getan: Er hatte sich im Voraus festgelegt. Vor allem unterbrach er auf diese Weise die Tradition seines Amtsvorgängers Jean-Claude Trichets, der zumindest offiziell stets betont hatte: „We never pre-commit!“ Statt einer Politik der klaren Worte bevorzugte Trichet Code-Wörter, mit denen er scheibchenweise die Finanzmärkte, vor allem Analysten und Journalisten, auf den nächsten Zinsschritt vorzubereiten pflegte. Jeder wusste, wenn er den Begriff „strongly vigilant“ verwendete, würden in der kommenden EZB-Sitzung Taten folgen. Tatsächlich bedeuteten auch diese Codewörter eine so starke Bindung an künftige Entscheidungen, dass sie dem jüngsten expliziten Commitment Mario Draghis eigentlich in nichts nachstanden.
Ich kann mich noch sehr gut an die EZB-Sitzung vom 7. April 2011 erinnern, als die Zentralbank den Leitzins trotz enormer Unsicherheitsfaktoren um einen Viertelprozentpunkt erhöhte. Immerhin gedachte die EZB in derselben Sitzung der Opfer der japanischen Nuklear-und Erdbebenkatastrophe in Fukushima, die sich nur wenige Wochen zuvor ereignet hatte. Eine Sitzung, an deren Vorabend auch noch Portugal die EU und den IWF um Hilfe hatte bitten müssen! Aber in der Konferenz davor hatte sich Trichet mit seiner Formulierung der „starken Wachsamkeit“ bereits festgelegt – auch wenn er das Gegenteil behauptete.
So war also ein Commitment, eine Bindung an eine aus damaliger Sicht allemal zweifelhafte Entscheidung entstanden, wodurch, zumindest aus psychologischer Sicht, eine rasche Abkehr von weiteren Zinserhöhungen oder sogar eine rasche Zinssenkung nicht ganz einfach gewesen wäre. Denn ein späterer Kurswechsel wäre immer dem Eingeständnis gleichgekommen, dass die letzte Entscheidung keine gute gewesen war. Immerhin hat eine derartige Bindung andererseits den Vorteil, dass man seine Strategie nicht permanent wie ein Fähnchen im Wind in alle Richtungen flattern lassen kann.
Wie die Fed die EZB lenkt
Viele finden jetzt das offene Pre-Commitment von Mario Draghis problematisch. Weil der EZB-Präsident im Zweifel nicht so leicht aus dieser Nummer herauskommen könne, meinen sie. Ich sehe jedoch dieses Commitment in einem ganz anderen Licht, halte diese Festlegung sogar für etwas geringer als die einst von Jean-Claude Trichet. Denn wesentliche Voraussetzung dafür, dass psychologisch überhaupt ein Commitment entstehen kann, ist die Freiwilligkeit der damit verbundenen Entscheidung. Und genau mit dieser Freiwilligkeit habe ich so meine Probleme. Denn ich glaube, die Entscheidung der EZB ist als Reaktion auf die jüngsten Bestrebungen der US-Notenbank zu verstehen, die mit ihrer Bekanntgabe des so genannten Tapering bis dahin weltweit für einen Anstieg der Renditen gesorgt hatte. Mit der Ankündigung niedriger Leitzinsen für eine lange Zeit hat Mario Draghi den Akteuren an den Finanzmärkten ganz unmissverständlich klargemacht, was es für die Konjunktur in der Eurozone, vor allem aber für die Lage der Staaten an deren Peripherie bedeuten würde, wenn die Renditen weiter steigen sollten. Mit dieser klaren Ansage ist aber auch noch etwas anderes deutlich geworden: Die Politik der US-Notenbank, genauer gesagt des Offenmarktausschusses, die Strategie eines kleinen, sicherlich nicht unfehlbaren Gremiums bestimmt die Zinspolitik und letztlich das ökonomische Schicksal der ganzen Welt.