Dollar am Morgen Märkte

Ein bisschen taubenhaft ist nicht genug

am
7. Juni 2019

EUR USD (1,1265)             Nun sind die Euro-Händler gestern offensichtlich doch auf dem falschen Fuß erwischt worden; genau das hatten sie doch durch ihre Euro-Abgaben im Vorfeld der gestrigen Sitzung der Europäischen Zentralbank unbedingt vermeiden wollen. Mit anderen Worten: Vielerorts hatte man offenbar mit einer taubenhaften Überraschung der Zentralbank gerechnet. Tatsächlich hat die EZB bei ihrer gestrigen Ratssitzung den Hauptrefinanzierungssatz bei 0 Prozent und den Einlagenzinssatz für Banken bei -0,4 Prozent belassen. Dass die sogenannte Forward Guidance, die vorausschauende Orientierung für die künftige Strategie der Geldpolitik, geändert wurde, so dass der derzeitige Hauptrefinanzierungssatz nun mindestens bis Mitte 2020 auf seinem jetzigen Niveau verbleiben wird, war von den Akteuren anscheinend bereits mental längst diskontiert.

 

Extremer Referenzpunkt

Aber nicht nur das. Der tatsächliche Referenzpunkt der Händler muss offenbar extremer gewesen sein: Man hatte noch Taubenhafteres von der EZB erwartet. Zwar stellte sich in der anschließenden Pressekonferenz heraus, dass innerhalb des EZB-Rats durchaus geldpolitische Lockerungen diskutiert wurden, aber eben nur für den Notfall. Ein solcher Notfall würde zweifelsohne bei einer Eskalation im globalen Handelskrieg eintreten. Dass die EZB für diesen Fall gut vorbereitet sein soll, schien den Marktteilnehmern nicht zu reichen, so dass kurzfristige bearishe Engagements eiligst wieder glattgestellt wurden und der Euro das Vortageshoch bestätigte.

Allerdings machte EZB-Präsident Mario Draghi deutlich, dass die EZB eine Zinserhöhung als nächsten Schritt nicht für wahrscheinlicher als eine Zinssenkung halte. Diese Aussage steht indes Beobachtern zufolge in einem gewissen Widerspruch zur gestern verkündeten geringfügigen Verschlechterung der Konditionen für die dritte Serie der gezielten Langfristtender (TLTRO III).

 

Den Nachfolger verpflichtet

Psychologisch gesehen können wir Mario Draghi eigentlich eine clevere Umsicht bescheinigen. Denn zum einen hat der EZB-Präsident, wie von den Akteuren gewohnt, längst nicht die sprichwörtliche große Bazooka herausgeholt und so das Pulver für schlechtere Zeiten trocken gehalten. Zumal die neuen Wachstums- und Inflationsvorhersagen gravierendere Maßnahmen ohnehin nicht gerechtfertigt hätten. Indes: Wie von uns gestern bereits erwähnt, hat Draghi durch die Änderung der Forward Guidance immerhin seinen Nachfolger psychologisch gebunden.

 

Uneins sind sich die Währungsstrategen allerdings darüber, was dies für die weitere Zukunft des Euro bedeutet. Dabei gibt es nicht wenige, die davon ausgehen, dass die Gemeinschaftswährung ihre Konsolidierungszone, die wir nach wie vor zwischen 1,1110 und 1,1320/25 sehen, an der Oberseite nicht nachhaltig durchbrechen wird. Selbst wenn der weiter zu eskalieren drohende Handelskrieg zwischen den USA und China eine Verschiebung von Kapitalströmen aus dem Dollar heraus in Richtung Euro nahelegt, steht dennoch weiterhin die berechtigte Frage im Raum, warum man dem Euro derzeit aus ökonomischen Gründen den Vorzug geben sollte.

Dennoch ist die Angst mancher langfristig orientierter Akteure nicht zu unterschätzen, dass sie sich auch wegen möglicherweise zu befürchtender US-Sanktionen (vgl. etwa die Drohung gegenüber der europäischen Institution Instex HIER) im Dollar nicht wohl fühlen. Eine Angst, die schwerer wiegt als alle fundamentalen Erwägungen. Aber der Euro bleibt ohnehin gegenüber dem Greenback zu bevorzugen, solange er sich oberhalb von 1,1185 bewegt.

 

Hinweise

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.

Wegen der Pfingstfeiertage erscheint der nächste Bericht erst am Dienstag, den 11. Juni.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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