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Deutschlands schönste Frau

am
5. März 2015

Man kann nicht immer nur bedeutend sein. Und anspruchsvoll. Manchmal braucht man einfach seichte Berieselung, um sich zu entspannen. Gestern war so ein Tag, an dem ich mich ziemlich ausgelaugt fühlte. Also zappte ich mich abends durchs Fernsehprogramm und blieb dann bei einer Sendung, die wohl eigentlich eher für ein weibliches Publikum gedacht ist, hängen. Aber ich gebe zu, dass ich mir schon einige Male auch „Germanys next Topmodel“, ein Muss für die drei Frauen in unserem Haushalt, mitangeschaut habe. Natürlich nicht aus Voyeurismus oder Neugier, sondern nur, um mir als verantwortungsbewusster Vater einen Eindruck davon zu verschaffen, welchem Schönheitsideal meine sechzehnjährige Tochter frönt. Gestern Abend aber lief so etwas wie eine Cover-Version von Heidi Klums Casting-Show, bei der die weiblichen Modelle allerdings nicht mehr ganz so jung aussehen – die älteste Kandidatin ist bereits 66 Jahre alt. Ich meine die RTL-Sendung „Deutschlands schönste Frau“ unter der Leitung von Guido Maria Kretschmer.

Schnell fand ich heraus, dass es bei dieser Serie offensichtlich nicht um das bestaussehende Model Deutschlands ging, sondern vor allem um innere Werte und nur ein wenig um äußerliche Schönheit. Kurzum, um Frauen, die wir auch in unserer Nachbarschaft finden könnten. Frauen mit Charakter, Emotionen und Schicksalen, die, so erfuhr ich von einer Bekannten, von der ungewollten Schwangerschaft mit 15 bis zur Mutter mit Alkoholproblemen reichen. Endlich eine menschliche TV-Sendung, kein gnadenloser Wettbewerb, sondern ein Casting mit Herz? Zumindest wurde viel geschluchzt und geweint. Aber das wird es bei Heidis Mädchen ja auch.

 

Magische Altersgrenze

Und damit alles halbwegs fair verläuft, haben sich die Macher etwas ganz Besonderes ausgedacht, indem sie die Kandidatinnen für „Deutschlands schönste Frau“ in zwei Gruppen aufteilten – die eine bestand aus den Unter-30-Jährigen und die anderen aus allen, die diese angeblich magische Altersgrenze im Leben einer Frau bereits überschritten hatten. Auch gibt es hier keine Jury, deren Sprecher am Ende mit schrillschneidender Stimme verkündet, man habe dieses Mal leider „kein Foto“ für die Kandidatin, die Metapher für deren sofortiges Ausscheiden aus dem Wettbewerb. Nein, in Kretschmers Format müssen die Kandidatinnen den Rausschmiss der lästigen Konkurrenz schon selbst besorgen.

Natürlich erhält auch bei Kretschmer jede Frau ausreichend Gelegenheit, sich auf die eine oder andere Weise und nach verschiedenen Vorgaben zu präsentieren. Manchmal auch nackt. Aber der eigentliche Höhepunkt eines jeden Mittwochabends ist dann die „Ladies‘ Night“, in deren Verlauf die Kandidatinnen einander gegenseitig für den endgültigen Abschied bestimmen müssen – jeder soll dabei zwei Frauen – je eine aus jeder Gruppe – „nominieren“, was wiederum eine schöne Umschreibung dafür ist, dass man sich auf diese Weise einer gefährlichen Nebenbuhlerin um den Sieg elegant entledigen kann. Nein, da gibt es kein Pardon. Jetzt sind jede Menge niedrige Beweggründe wie Neid, Rivalität, Missgunst und andere Todsünden gefragt. Abgewählt wird natürlich die schärfste Konkurrenz. Und damit die Sendung nicht völlig aus dem Ruder läuft, greift Guido M. Kretschmer mitunter wie ein rettender Gott aus der Kulisse heraus ein und wählt schon einmal zwei Damen aus, die er unbedingt auch in der nächsten Runde noch dabeihaben möchte.

 

Kontrollverlust in der „Ladies‘ Night“

Dass es tatsächlich noch so etwas wie innere Schönheit, Edelmut und Verzichtsbereitschaft gibt – bis gestern Abend hätte mir der Glaube an solche Werte nicht mehr als ein halb mitleidiges, halb zynisches Grinsen entlockt. So befürchtete ich das Schlimmste, als Kretschmer die Damen einzeln zum Nominieren bat.

Aber ich wurde eines Besseren belehrt.

Nicht weil mich Tränen, Verzweiflung und Ratlosigkeit der unfreiwilligen Schicksalsgöttinen – immerhin ging es um einsame Entscheidungen unter Unsicherheit – besonders mitgenommen hätten. „Ich kann doch meine beste Freundin jetzt hier nicht verraten“, diesen Satz konnte man unter Schluchzen und Tränen-Tremolo mehrfach vernehmen. Doch dann setzte ich mich überrascht auf meinem Sofa auf: Eine Kandidatin hatte doch tatsächlich aus lauter Menschlichkeit sich selbst für den Rausschmiss bestimmt! Aber die Welt war noch viel besser, als ich alter Pessimist zu glauben gewagt hatte: Es waren sogar drei (alle übrigens aus der Gruppe der Unter-30-Jährigen), die bereit waren, die eigenen Überlebenschancen im Kampf um den Titel als „Deutschlands schönste Frau“ durch Selbstnominierung erheblich zu verschlechtern.

Oder war es doch keine reine Fairness, die die Entscheidung dieser edlen Seelen beeinflusste? Die verhaltensorientierte Ökonomie kennt nämlich das stark verbreitete und mächtige Bedürfnis nach Kontrolle, das unser aller Handeln stärker bestimmt, als wir uns alle bewusst sind. So möchte sich jeder Mensch lieber als Verursacher von Veränderungen seiner Umwelt wahrnehmen denn als passives Objekt, das diese Veränderungen nicht beeinflussen kann, sondern nur erleidet. Wir möchten unsere Realität verstehen, vorhersagen und beeinflussen können, und das ist ein Wunsch, der seit Jahrtausenden biologisch fest in uns verankert ist.

 

Abgang mit erhobenem Haupt

Aber wenn einem andere durch den Rauswurf aus dem Wettbewerb um „Deutschlands schönste Frau“ quasi zu verstehen geben, „Du bist nicht schön genug“, dann hat das schon etwas von einem Kontrollverlust. Weil diese Situation außerhalb des eigenen Handlungsspielraums liegt. Ob die Selbstnominierung womöglich auch ein Versuch ist, sich einen Teil dieser verloren geglaubten Kontrolle zurückzuerobern? Wer freiwillig und aus Freundschaft und Mitgefühl mit den anderen Bewerberinnen auf seine Chance, zu „Deutschlands schönster Frau“ gekürt zu werden, verzichtet, kann erhobenen Hauptes die Bühne verlassen. Wer indes sich selbst aufzuwerten versucht, indem er Andere in ihrem Aussehen und Benehmen verunglimpft, der legt ein hässliches Verhalten an den Tag und hat sich beinahe selbst schon disqualifiziert. Vor allem nach dieser jüngsten Sendung.

Wie einfach habe ich es dagegen, ich muss keine Entscheidung unter Unsicherheit treffen. Denn für mich sitzt Deutschlands schönste Frau sowieso seit 20 Jahren neben mir, auf dem Sofa, in unserem Wohnzimmer.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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