Behavioral Basar
Wer durch die Jerusalemer Altstadt schlendert, läuft leicht Gefahr, sich im Gewirr der engen Gassen zu verirren. Die Orientierung fällt auch deshalb so schwer, weil überall dieselben Sachen feilgeboten werden: Teppiche, Decken, Kissen, armenische Keramik, Silberschmuck und jede Menge religiöser Nippes. Im christlichen Viertel finden sich natürlich mehr Heiligenbildchen und Holzkreuze, im arabischen Teil hingegen dominieren Bauchtanzkostüme und verzierte Hände aus Silber oder Glas gegen den Bösen Blick. Siebenarmige Leuchter und Davidsterne gibt es hingegen eher im jüdischen Quartier zu entdecken. Aber egal, wo man sich gerade befindet – verloren ist man in jedem Fall, wenn man stehen bleibt und nur den Hauch eines Kaufinteresses zeigt. Denn Feilschen ist angesagt. Wie auf jedem Basar in der ganzen Welt. Aber ein Urlaub wäre kein Urlaub, wenn man nicht das eine oder andere Souvenir als Erinnerung mit nach Hause brächte.
Und so wurde auch ich – bis in die Haarspitzen mit Behavioral-Economics-Theorie ausstaffiert – in so manchen Handel verwickelt, ohne dass ich Lust darauf verspürte hätte. Aber was sollte ich machen, wenn sich meine Tochter nun einmal so sehr für eine dieser mit Perlen verzierten farbigen Decken begeistern konnte. Der Händler, sofort hellwach, begann auch alsgleich sein Eröffnungsgebot von 250 Schekel (ca. 50 Euro) zu kommunizieren – ich aber reagierte mit gespieltem Desinteresse und drehte mich weg. Meine Tochter bettelte jedoch unablässig, so dass ich zwischen die Fronten geriet und mir insgeheim ausmalen konnte, wie die ganze Unternehmung enden würde. Mittlerweile war der Händler auf 230 Schekel herunter gegangen, doch ich blieb immer noch stur. Schließlich sprach er meinen neunjährigen Sohn an, was er denn bereit wäre, für die Decke auszugeben. Mein Sohn zögerte eine Sekunde lang, und mir war sofort klar, was er am liebsten gesagt hätte: „Höchstens einen Schekel“. Aber das Kind war ja gut erzogen und bot stattdessen anstandshalber zehn.
Sie können sich vielleicht vorstellen, zu welchem Preis die Decke den Besitzer wechselte, nachdem ich mich endlich zu einem ersten Kaufgebot von 70 Schekel durchringen konnte. Ja, wir trafen uns in der Mitte bei 140 Schekel. Was, genau genommen, nicht ganz stimmt*. Dass ich am Ende etwas besser als die „Mitte“ davongekommen war, verdanke ich meinem beschränkt geschäftsfähigen Sohn, der mit seinem unseriösen Gebot von zehn Schekel einen Anker gesetzt hatte, den selbst so ein gewiefter Jerusalemer Teppichhändler offenbar nicht ganz ignorieren konnte.
*Wer genau nachrechnet, wird natürlich feststellen, dass 250 + 70 geteilt durch zwei 160 ergibt.