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2. November 2011

Gutes Fernsehen muss offenbar einfach sein. Diesen Eindruck konnte ich gewinnen, als ich mir jüngst wieder einmal eine dieser zahlreichen Talkshows zur Euro-Krise anschaute. Aber ich hatte Verständnis dafür, dass angesichts des am selben Tage endenden Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs zur Rettung der Eurozone ein paar klare oder erklärende Worte vonnöten waren. Am besten möglichst einfach für den Endverbraucher portioniert und komplexitätsarm dargestellt.

Und da saßen sie nun, ein paar bekannte Politiker, von denen ich in solchen Talkrunden ohnehin nicht viel erwarte. Auf der anderen Seite aber waren die Experten, die offenbar versuchten, den komplexen Sachverhalt der Krise mit einfachen Worten zu erklären. Dass dergleichen mitunter ein schwieriges Unterfangen sein kann, haben bereits vor 40 Jahren Experimente zur Informations­verarbeitung gezeigt. Etwa zum Gebrauch von so genannten Heuristiken (Faustregeln), die den großen Vorteil bieten, Komplexität zu reduzieren und Zeit zu sparen. Allerdings zu Lasten der Genauigkeit bei den Ergebnissen.

Dieser Neigung zur Vereinfachung, damit das Volk auch wirklich den Ernst der Lage versteht, ist auch ein in der Show auftretender Finanzmarktexperte zum Opfer gefallen. Aber dieser musste natürlich am Ende auch seinem Namen voll und ganz gerecht werden und dem Zuschauer verraten, was man nun mit seinem Geld in den Zeiten der Krise anstellen solle. Und das, nachdem der Experte ausführlich über die Katastrophe und den Reset referiert hatte. Was blieb da noch an realen Sachwerten übrig? Gold? Na klar, aber das hat sowieso jeder. Vielleicht auch Silber? Oder gar Aktien? Da erhält man im Gegenzug etwas Reales, erfuhr ich. Nämlich einen Anteil an einem Unternehmen. Mit allem Drum und Dran. Und damit das Investment zum sicheren Erfolg führt, wird der interessierte Zuschauer belehrt, kann man sich gerade in unsicheren Zeiten gegen Kursrückschläge sogar absichern. Solche Instrumente, Optionen, die man auch als Versicherungen bezeichnen kann, kosten natürlich Geld. Prämien, die gerade bei der heutigen Volatilität möglicherweise Dividendenerträge und Kursgewinne mehr als aufzehren können. Aber viel mehr als das, trieb mich die Frage um, wer bei einem Untergang des Finanzsystems – das wäre doch der Worst Case – eine solche Versicherung noch bedienen könnte.

Aber der Finanzmarktexperte war nicht der einzige, der bei mir Fragen offen ließ. Etwa der Verbraucherschützer, der offensichtlich etwas gegen Aktien hatte. Der riet nämlich dem möglicherweise verschuldeten Konsumenten, zuerst seine Schulden schnell abzutragen. Das macht Sinn, wenn die Zinsen des Kredits tatsächlich hoch sind. Wenn dann noch Geld übrig bliebe, so der Experte, könne man an ein Sparbuch oder (angesichts der niedrigen Zinsen) an ein noch attraktiveres Festgeld denken. Da wurde mir sogleich die massive Differenz zwischen den derzeitigen Soll- und Habenzinsen vor Augen geführt. Aber über die regte sich zumindest in der Runde niemand auf. Ist ja auch keine Spekulation. Und wenn dann immer noch Geld übrig bliebe, solle man sich eine Immobilie zulegen, vernahm ich. Erst dann dürfe man an Aktien denken, womit mir mit einem Schlag klar wurde, warum Aktienengagements in Deutschland immer noch nur wenigen vorbehalten bleiben.

Fast hätte ich den Wirtschaftsprofessor aus Österreich vergessen. Der empörte sich nicht nur über den Zinseszins als Quelle allen Krisenübels. Nein, so lautete seine Forderung, man müsse Geld (das ohnehin alle 70-80 Jahre kaputt ginge) ganz abschaffen und zum Naturaltausch zurückkehren. Das sei doch nur fair. Und ich fragte mich, warum man sich vor mehr als 2000 Jahren überhaupt die Mühe gemacht hatte, Geld als fungibelstes aller Tauschmittel einzuführen. Vielleicht weil man offenbar nicht ohne weiteres sagen konnte, wie viele Äpfel eine Birne wert waren?

Am meisten regte mich aber auf, dass niemand in der ganzen Talkrunde imstande war, diesen teils haarsträubenden Geschichten argumentativ ein Ende zu machen. So blieb mir selbst nur mein eigenes endgültiges Argument übrig: Abschalten.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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