Behavioral Living Marketing

Günstig nach Venedig verschaukelt

am
12. Juni 2013

Als meine Frau und ich unlängst im ZDF eine Sondersendung zur Biennale in Venedig sahen, waren wir so fasziniert, dass uns erneut eine heftige Attacke des Venedig-Fiebers ergriff. Und nach einer halben Stunde war uns klar: Da müssen wir wieder hin! Die Giardini Biennale, die alten Werften von Arsenale, die Lagunenstadt in ihrer ganzen Pracht und Schönheit zog an uns vorbei. Eine Venedig-Reise könnte bereits in den Sommerferien wieder Wirklichkeit werden, dachten wir. Also reichlich kurzfristig. Aber wir hatten Glück, denn es waren gleich noch mehrere preisgünstige Unterkünfte frei, und auch die Flüge blieben trotz der knappen Vorlaufzeit noch erschwinglich.

Und so buchte ich online bei der Lufthansa unsere Plätze und machte von der recht kostspieligen, 48 Stunden gültigen Reservierungsoption Gebrauch, da unser angefragtes Apartment vom Vermieter noch nicht endgültig bestätigt worden war. Für 30 Euro also war der Flugpreis von 258 Euro pro Person nebst Sitzplatz garantiert. Sofern man denn auch den Flug innerhalb der Garantiezeit bestätigte. Ansonsten würde die Reservierung verfallen. Nun ja, es soll teurere Optionen geben.

Bereits am nächsten Tag war die Anmietung unseres Appartements perfekt, und ich machte mich daran, die Lufthansa-Flüge nach Venedig zu bestätigen. Aber ich wäre ein schlechter Geschäftsmann, wenn ich zuvor nicht noch einmal den Markt „gecheckt“ hätte, ob sich der Preis der Flüge in der Zwischenzeit womöglich nicht doch noch zu meinen Gunsten verändert hätte. Und da macht es einem die Lufthansa ganz einfach, man muss nur den zuletzt ausgewählten Flug noch einmal online und bereits abgespeichert abrufen und siehe da, tada: Der Preis für meine Flüge musste in der Zwischenzeit regelrecht explodiert sein. Jetzt sollte ein einziger Flug nach Venedig und retour zu exakt den gleichen Flugdaten plötzlich etwas mehr als 500 Euro pro Person kosten! Ich staunte nicht schlecht und hatte eingedenk meiner Garantie von 258 € nicht nur das Gefühl, ein Schnäppchen in der Hand, sondern auch noch ein super Timing bewiesen zu haben. Bei diesem Preis fühlte ich mich geradezu verpflichtet, meine Kauf-Option auszuüben und den Deal perfekt zu machen.

 

Venedig-Virus auf PCs?

Mein toller Riecher hatte mich also nicht im Stich gelassen! Aber als misstrauischer Zeitgenosse, der in Fragen der Behavioral Economics auch nicht als allzu unbeleckt zu gelten braucht, fragte ich noch einmal bei meinem praxiserprobten Mitstreiter Herman nach, ob er meine, dass mit dem neuen Preis womöglich etwas faul sein könnte. Denn die Fluggesellschaft hatte offensichtlich alle Register gezogen. Nicht nur, weil ich ein gutes Gefühl hatte und ex post die Optionsprämie von 30 Euro angesichts des hohen relativen Gewinns gern bezahlt hatte. Nein, mit 500 Euro wurde auch noch gleich eine Preisschwelle überschritten, damit diese Alternative richtig konsumentenunfreundlich aussah.

Und so bat ich Herman, doch einmal auf seinem PC bei der Lufthansa genau die gleichen Flugdaten abzufragen. Wir hatten es geahnt: Mein Kollege bekam den Flug sogar leicht günstiger als zu meinem ursprünglichen Preis angeboten! Hatte sich auf meinem PC etwa ein Venedig-Virus breitgemacht? Etwa um zu verhindern, dass ich gar nicht erst auf die Idee kommen sollte, nach einer günstigeren Flugalternative zu suchen? Ich löschte meinen Browser-Cache, um etwaige auskunftsfreudige Cookies endgültig zu entfernen. Noch einmal gab ich meine Flugdaten Schritt für Schritt ein: Jetzt konnte auch ich wieder billig fliegen, denn für die Lufthansa muss nun meine IP-Adresse zumindest bezüglich einer neuen Abfrage ein unbeschriebenes Blatt gewesen sein. Zufall oder bewusste Manipulation – was meinen Sie?

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1 Kommentar
  1. Antworten

    Enrico

    13. Juni 2013

    Das ist ganz normales Verhalten bei vielen Fluggesellschaften. Dazu braucht es nicht mal die Reservierungsoption, es haette auch so am naechsten Tag der Preis steigen koennen, weil die Website erkennt, dass Sie gestern schon da waren.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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