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Fragwürdige Umverteilung

am
3. Mai 2013

Nun ist also wieder alles beim Alten. Die US-Notenbank hat bei ihrer vergangenen Sitzung klargemacht, dass sie sich flexibler denn je zeigen und je nach Entwicklung der Konjunktur ihre quantitativen Lockerungsmaßnahmen notfalls sogar erhöhen wird. Wer also vor einigen Wochen die Hoffnung gehabt hatte, die Notenbank werde womöglich noch in diesem Jahr ihre Lockerungsaktivitäten zurückfahren, muss sich nun getäuscht sehen. Statt eines klaren Kurses scheint die Fed nunmehr auf Sicht zu fahren, womit unsinnigerweise besser oder schlechter als erwartet ausfallende Wirtschaftsdaten demnächst einen größeren Einfluss haben dürften als die Sitzung des Offenmarktausschusses der Notenbank. Statt also Falken und Tauben zu zählen, müssen sich die Analysten nun wieder vermehrt mit den volatilen Nonfarm Payrolls des Arbeitsmarktberichts herumschlagen. Wird die Fed also ihre Geldpolitik tatsächlich daran ausrichten, ob die Ökonomen die Zahl der neu geschaffenen Stellen richtig vorhergesagt haben? Diese Art von Flexibilität vermittelt den Akteuren an den Finanzmärkten vor allen Dingen eines: Unsicherheit.

Aber auch die EZB hat mit Ihrem jüngsten Zinsschritt keinen Bäume ausgerissen, wenn man einmal davon absieht, dass Mario Draghi im Verlauf der gestrigen Pressekonferenz mit dem Hinweis, die EZB sei technisch auch zu einer negativen Verzinsung der bei ihr unterhaltenen Einlagen imstande, offenbar Pawlow‘sche Hunde geweckt hat. Draghis Statement ist insofern interessant, weil es zu einem Zeitpunkt kommt, da ein ehemaliger Befürworter negativer Zinsen auf Bankeinlagen, Paul Tucker, sich von derlei Ambitionen abwandte: Der stellvertretende Chef der Bank von England machte gerade erst 48 Stunden zuvor einen entsprechenden Rückzieher. Dagegen nehmen sich Konsultationen des EZB-Rates mit anderen EU-Institutionen über Maßnahmen, wie man dem Mittelstand in den Ländern an der Peripherie Europas helfen kann, geradezu langweilig aus und wurden von den Händlern, obwohl nicht unwichtig, kaum wahrgenommen.

 

Hauptsache den Reichen an den Kragen

Am Ende liegt es an den Ländern der Eurozone selbst und nicht an der EZB, durch Strukturreformen und eine ausgewogene Konsolidierung für Vertrauen zu sorgen. In Deutschland wollen offenbar die Grünen und auch die SPD unter einer mit Moralin getränkten Flagge den Reichen im Falle eines Sieges nach der Bundestagswahl mit Steuererhöhungen an den Kragen und zwar unter dem Motto einer groß angelegten Umverteilung von historischer Dimension und dem impliziten Segen der Zeitgeister. Wer zahlen soll ist also klar und ich möchte mich auch nicht darüber beschweren, dass die Einkommensgrenze, ab der die Steuern erhöht werden sollen, womöglich schon bei 60.000 Euro beginnen soll, also da, wo – wie Jan Fleischhauer in seiner jüngsten Kolumne in Spiegel online süffisant kommentierte – bei vielen Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes die Gehaltstabelle in etwa aufhört. Auch bin ich vorsichtig, mich gegen die Mehrheit der Deutschen zu stellen, die offensichtlich laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF gerne Steuererhöhungen haben möchte – wahrscheinlich nur solange sie nicht selbst davon betroffen sind. Aber Umverteilung hat für mich immer zwei Seiten, doch mir ist bei all den Diskussionen bis jetzt nicht klar geworden, wer der Nutznießer der Umverteilung sein soll. Etwa der Staat, indem man die Steuereinnahmen blindlings zum Sparen statt für Strukturreformen (mein Kollege Herman Brodie hat sich dankenswerter Weise unlängst zum Unterschied dieser beiden Begriffe hier geäußert) oder für ziellose Verschwendungsmaßnahmen verwendet?

Eine größere, wenn auch nicht staatlich gesteuerte „Umverteilung“ gab es auch bei unserer jüngsten Umfrage, die wir allwöchentlich mit der Börse Frankfurt durchführen. Allerdings ging es hier um Stimmungsveränderungen der Investoren am Aktienmarkt, die Gianni Hirschmüller hier kommentiert hat. Ich selbst habe mich um die Analysedetails hier gekümmert.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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