Behavioral Living

Lebenslänglich

am
11. November 2010

Traf neulich im Sportstudio einen alten Bekannten. Nach dem üblichen Smalltalk, in den man automatisch verfällt, wenn man sich lange nicht gesehen hat, fragte mich mein Gegenüber: „Kannst du dich noch erinnern? So vor etwa gut zwei Jahren? Damals hatte uns doch das Sportstudio eine lebenslange Mitgliedschaft angeboten.“ Jetzt dämmerte es mir: Richtig, ich glaube, dieses lebenslange Commitment sollte seinerzeit 4000 € kosten. Bei einem Monatsbeitrag von ca. 80 bis 100 € für treue Mitglieder hätte dies ohne Zinseffekte etwa einer vier- bis fünfjährigen Beitragszahlung entsprochen.

„Damals hast Du mir davon abgeraten, nicht wahr?“ Mein Bekannter, übrigens ein Volkswirt, schaute mich lächelnd an. Nein, er wollte mir sicherlich nicht vorwerfen, dass ich ihn seinerzeit schlecht beraten hätte. „Jetzt habe ich noch genau anderthalb Jahre, bis ich meinen Break-even erreicht habe.“ Damals hatte ich sicherlich gute Gründe gehabt, den Sportsfreund vor einem derartigen Engagement zu warnen. Denn ich selbst hatte mich gegen „lebenslänglich“ entschieden. Abgesehen davon, dass es – wir befanden uns Mitte 2008 immerhin bereits in der Immobilienkrise – für mein Sportstudio kein Kredit-Rating gegeben hatte, hegte ich durchaus noch andere Bedenken. Angenommen, 100 Mitglieder machten von dem Angebot Gebrauch, so hätte dies für den Betreiber des Studios zusätzliche Liquidität von 400.000 €, zinslos versteht sich, bedeutet. Das aber ließ mich grübeln: Wer offensichtlich so dringend Geld benötigt, ist vielleicht bereits vor Ende der Frist, die mein Bekannter als Break-even bezeichnet, pleite. Ganz zu schweigen davon, dass der Service sicherlich nachlassen würde, wenn man sich einer so großen Zahl von Kunden sicher sein kann. Denn diese können ja nicht mehr das Studio wechseln. Sie müssen in jedem Fall ausharren, selbst wenn die Duschen dreckig, die Geräte überaltert und die Trainer muffig sein sollten. 

„Die anderthalb Jahre werden die auch noch schaffen“, fuhr mein Bekannter fort. „Bleibt eigentlich nur noch das Risiko, dass ich früh sterbe – aber den Frust darüber, dass sich die 4000 Euro dann nicht amortisiert haben, werde ich ja nicht mehr empfinden!“, lachte er. Im ersten Augenblick hätte ich ihm fast zugestimmt. Doch dann fiel mir ein, dass wir Menschen, gerade wenn es darum geht, Sachverhalte schnell begreifen zu müssen, zur Vereinfachung, zur Schwarzweißmalerei tendieren. Aber das Schicksal ist kein binäres Ereignis, kennt nicht nur Tod oder Leben. Plötzlich wurde mir klar, dass dazwischen durchaus noch viele Schritte liegen können,  die wir mangels Vorstellbarkeit ausblenden, was zu einer zu optimistischen Einschätzung von Risiken führen kann. Was ist, wenn man einen Unfall hat, querschnittsgelähmt wäre oder so herzkrank, dass der Arzt jede Anstrengung verbieten würde, dachte ich. Könnte man dann noch zum Training kommen? All’ das aber sagte ich nicht laut, denn ich wollte meinen Bekannten nicht in Angst und Schrecken versetzen, nur um Recht behalten zu haben.

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2 Kommentare
  1. Antworten

    Horst Schmidtke

    11. November 2010

    Ein lebenslanges Abo im Fitnessstudio hat etwas von lebenslänglich und wäre auch nichts nach meinem Geschmack. Ich würde kein lebenslanges Studio wollen, ebenso wie ich keine Ferienwohnung will, auf die ich dann fixiert bin.

    Dabei lasse ich Risiken, wie Schnelltod, Unfall etc. komplett außen vor. Eher hätte ich ob der dann zwangsläufigen Optionslosigkeit emotionale Probleme.

    Das Leben ist ein Fluss und wer weiß denn schon, wo einen die Strömung in Zukunft hintreiben wird. In den vergangenen 20 Jahren habe ich persönlich einen Staat untergehen und zwei Währungen verschwinden sehen. In diesem Zeitraum bin ich 6 mal umgezogen. Geht man nun von einer Kontinuität des Unkontinuierlichen aus, was soll man dann bitte mit 1 x Lebenslänglich fürs Fitnessstudio etc. Für die breite Massen, die beruflich „etwas erleben will“, wird es sich in Zukunft ggf. sogar kaum lohnen, ein Wohnabo in Form einer eigenen Immobilie anzuschaffen, da dieser Markt dermaßen gering liquide ist, dass die finanziellen und emotionalen Transaktionskosten bei mehrmaligen Transaktionen kaum tolerierbar sind.

    Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, ist eine lebenslange Mitgliedschaft im Fitnessstudio eher ein westdeutsches Problem. Dort ist man ausgehend von meinen persönlichen Erfahrungen noch immer sehr verbreitet der Meinung ab 35 – 45 einen Status erreicht zu haben, der Ortsansässigkeit mit sich bringt. Im Osten wurden wendebedingt eben solche Allüren 1990 regelrecht ausradiert. Für sehr viele, die seinerzeit live und bewusste dabei waren, gilt seinerzeit, dass nicht sicher ist, außer einer zunehmenden Unsicherheit. Entsprechend ordert man nichts auf Lebenszeit, schon gar nichts, das bindet im Sinne von Fesseln.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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