Behavioral Living Marketing

In der Sammelfalle

am
20. März 2012

Als ich mich vor etlichen Jahren dazu entschlossen hatte, an einem Bonusprogramm meiner Kreditkartengesellschaft teilzunehmen, wurde einem (sofern mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt) für eine Million Punkte als Prämie eine Weltreise mit dem Flugzeug versprochen. Damals fing ich an, auf diesem Kreditkartenkonto so viele Umsätze wie möglich zu tätigen, um möglichst bald meinen Traum verwirklichen zu können. Sie werden es erahnen: Ich habe es bis heute nicht geschafft. Denn längst gab es Punkte-Reformen, Umtauschaktionen und neue Höchstpreise. Heute bekommt man für 11,2 Millionen Punkte immerhin einen BMW 1er M Coupé als Top-Prämie angeboten. Das sieht auf den ersten Blick nach einer dramatischen Punkte-Inflation aus.

Leider konnte ich deren tatsächliche Geschwindigkeit niemals berechnen, da ich auf meinem langen Weg zum Höchstpreis immer wieder abgelenkt wurde. Denn nach einigen Jahren des Sammelns wies mich ein Freund darauf hin, dass die Sachprämien von Jahr zu Jahr immer teurer würden. Und so beschloss ich, einen großen Teil meiner Punkte in eine wunderbare Küchenmaschine, eine Flasche superteuren Cognacs und diverse andere Dinge, die ich mir von meinem normalen Geld niemals geleistet hätte, zu investieren. Denn bei den so genannten Windfall-Profits überlegt man weit weniger als bei erarbeitetem Geld, wofür man sie ausgibt. Zumal wenn die Inflation droht, einem diese hart verdienten Rabattpunkte wegzufressen.

Umso hellhöriger wurde ich, als ich unlängst einen Gerichtsbericht über den so genannten „Vielflieger-Prozess“ las, den ein Mann gegen die Lufthansa gewonnen hat. So urteilte das Kölner Landgericht[1], dass der Kläger, der immerhin 887.000 Bonusmeilen im Rahmen seines „Miles & More“-Programms gesammelt hatte, durch die Änderung des Prämienkataloges eindeutig benachteiligt worden sei. Denn die Lufthansa hatte Anfang 2011 die Prämienbedingungen derart verändert, dass seitdem durchschnittlich 15-20 Prozent mehr Meilen für das Eintauschen in interkontinentale Flüge notwendig sind. Unter anderem bemängelten die Richter, dass die Lufthansa diese Änderung erst einen Monat vor Inkrafttreten publik gemacht habe – das sei zu kurzfristig, so die Einschätzung der Juristen.

Schön für den Kläger, dass er nun seine Meilen, die er bis Anfang 2011 gesammelt hatte, zu den alten Bedingungen eintauschen darf. Wenn man allerdings argumentiert, dass der Flugprämienkatalog zuvor acht Jahre lang unverändert geblieben war und sich dadurch „ein gewisser Vertrauensbestand“ entwickelt habe, sollte man dabei nicht außer Acht lassen, dass die Lufthansa über Jahre hinweg eine Leistung trotz gestiegener Kosten ohne Inflationsausgleich angeboten hat. Aber das dürfte von den meisten Vielfliegern ohnehin nicht bemerkt worden sein. Auch scheint es mir nicht übertrieben, während dieses Zeitraums eine Inflationsrate von 2,5 Prozent p. a. anzunehmen.

Es ist allein die Art und Weise, wie diese Angleichung vorgenommen wurde, nämlich die Meilen auf einen Schlag und auch noch im Nachhinein abzuwerten, die Punktesammler und Richter so richtig erschreckt haben mag. Zumal als besonders schlimm gilt, jemandem etwas, das er bereits mit Mühen erworben hat, wieder wegzunehmen, und sei es nur teilweise. Denn Verluste wiegen bekanntlich nun einmal schwerer als Gewinne. Noch gravierender dürfte sein, dass dem Kunden mit diesem Schritt – so gerechtfertigt er formal auch sein mag – wieder einmal klar geworden ist: Wer am Bonus-Programm teilnimmt, soll als Kunde gebunden werden. Wer dabei allerdings eine  Sammelleidenschaft entwickelt, der sitzt so richtig in der Falle, weil man sich als Dienstleister nicht mehr um ihn bemühen muss.



[1] Vgl. Welt am Sonntag online vom 15.3.2012

 



 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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