Märkte Politik

Wenn der Druck nachlässt

am
19. März 2012

Es scheint uns schon wieder ganz gut an den Finanzmärkten zu gehen. Das jedenfalls ist mein Eindruck. Der DAX hat die 7.200er Marke gestreift, die US-Konjunktur zeigt sich wider Erwarten recht robust, und selbst in Deutschland ist der seit Wochen befürchtete Wachstumseinbruch bislang ausgeblieben. Und Griechenland? Das haben wir offensichtlich schon völlig vergessen. Ist ja schön, wenn man ein bisschen Luft holen darf.

Aber ich erinnere mich an Zeiten, da wurden die US-Ratingagenturen regelrecht verdammt, allen voran Standard & Poor’s. Erinnern Sie sich? Das war doch die Agentur, die am 13. Januar dieses Jahres acht Staaten der Eurozone einen so genannten Downgrade verpasst hatte – eine Herabstufung im Hauruckverfahren. Damals konnte einem noch richtig angst und bange werden. Vor allen Dingen kritisierte man das Timing der Hiobsbotschaft und dass diese gerüchtweise sogar vorzeitig in den Markt gelangte.

Es kann aber nicht an diesen 13. Januar 2012 gelegen haben – schließlich sind die Aktienkurse seither, abgesehen von ein paar unwesentlichen Korrekturen, nur noch nach oben gegangen –, dass die europäische Ratingagentur, die die Notenbanker und Politiker als Gegengewicht zu den amerikanischen Agenturen vehement gefordert hatten, bis jetzt immer noch nicht gegründet wurde. Sollte das tatsächlich am fehlenden Geld liegen?[1] Das Startkapital von 300 Millionen Euro wollte man doch bis spätestens Ende März 2012 aufgebracht haben. Aber die Sammlung gestaltet sich schwierig, weil keiner der Geldgeber mehr als drei Prozent Anteil beisteuern sollte. Um Interessenskonflikte zu vermeiden.

Natürlich soll die neue Rating-Agentur von Banken, Emittenten und Regierungen unabhängig bleiben. Dennoch wundere ich mich, dass von einem größeren Engagement der Euroländer nichts zu hören ist. Denn mit einer angemessenen Beteiligung der einzelnen Staaten hätte man – ungeachtet dessen, ob eine solche Agentur überhaupt sinnvoll ist[2] – zumindest für den rechtzeitigen Start der Institution sorgen können. Stattdessen entsteht nun der befremdliche Eindruck, man müsse sich angesichts der vertagten Euro-Krise gar nicht mehr so sehr beeilen.

Dazu passt auch, dass die Einführung einer Finanztransaktionssteuer innerhalb Europas offensichtlich auf mehr Widerstand stößt, als ursprünglich gedacht. Auch wenn man meinen könnte, dass einige Staaten durch die neue Steuer benachteiligt würden, weil deren Unternehmen und Institutionen vornehmlich mit ausländischen Banken handeln und so nicht in den Genuss von Steuereinnahmen kommen, muss ich mich auch hier über das Timing wundern. Denn diese Problematik dürfte den Wortführern der Transaktionssteuer schon längst bekannt sein – interessant ist, dass diese Diskussion zu einem Zeitpunkt beginnt, wo der Druck der Finanzmärkte, grundlegende Reformen in Angriff zu nehmen, nachgelassen hat. Der Wille der Entscheider, etwas Wesentliches zu verändern, sinkt offenbar immer in dem Moment, wo die Verluste erträglich werden.



[1] Vgl. Börsenzeitung vom 16. März 2012: Europäische Ratingagentur muss Start verschieben

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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