Märkte Politik

Wahlrallye an der Börse oder böses Erwachen?

am
26. Oktober 2012

Am gestrigen Donnerstag hat mich wieder einmal Frank Meyer in der der n-tv Telebörse (Frank Meyer firmiert auch unter Bankhaus Rott & Meyer) auf seine liebenswerte und persönliche Art zum Thema: „Wie lange geht so etwas noch gut?“ zur derzeitigen ökonomisch/psychischen Verfassung von DAX und Euro befragt. Auch die Frage, ob es beim DAX eine Jahresschlussrallye geben wird, durfte ich an dieser Stelle beantworten – glücklicherweise musste ich nicht prognostizieren, wer der nächste US-Präsident sein wird. Was aber auf den Wahlsieger zukommt und wie die Börsen darauf reagieren werden sowie zu den derzeitigen großen Kapitalflüssen wurde ich auch dieses Mal ausgiebig befragt.   

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1 Kommentar
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    Sandro Valecchi

    29. Oktober 2012

    Der Mittelstand glaubt an Romney. Alle Beobachter und Analysten sind sich einig, dass die Erfolgsaussichten zur kommenden Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten mit der Entwicklung der US-Wirtschaft eng verknüpft sind: Amtsinhaber Obama selbst hat 2011 die Ansicht geäußert, dass es noch Jahre dauern werde, bis die amerikanische Wirtschaft wieder auf einer soliden Basis stehe und strukturelle Probleme, die sich über die vergangenen 20 Jahre aufgebaut hätten, wieder rückgängig gemacht werden könnten. Innerhalb einer Legislaturperiode sei die Erholung der Wirtschaft nicht zu schaffen. „Ich glaube an Amerika!“Mitt Romney und die republikanische Partei setzt auf wirtschaftliche Kompetenz und Traditionen. In Zeiten der Wirtschaftskrise sieht der Multimillionär eine neue Chance für sich – und setzt auf Tradition und Expertise. Er kandidiert bereits zum zweiten Mal für die US-Präsidentschaft, 2008 unterlag der Ex-Gouverneur von Massachussetts John McCain. „Stand with Mitt“ lautet die Devise der Republikaner und wirke mit am Ziel: 12 Millionen neue Jobs! , so die Aussage und Wahlversprechen auf der Homepage von Mitt Romney.

    Mit der Wirtschaftskompetenz stehen und fallen die Chancen auf das Amt des US-Präsidenten. Ein klarer Vorteil für Romney und zugleich ein großer Nachteil für Obama. Obamas Niedergang ist untrennbar mit dem 02. August 2011 verbunden. Die internationalen Medienagenturen vermeldeten „last-minute deal reached to end U.S. debt impasse“, aber weder Freude noch Erleichterung konnte seinerzeit hierbei aufkommen. Die Lage der US-Ökonomie ist überaus kritisch und das wird sie auch weiterhin bleiben. US-Präsident Barack Obama und seine Administration bringt es auf den Punkt: „Ist das der Deal, den ich bevorzugt hätte? „, fragte Obama und schob die korrekte Antwort nach: No!

    Die Schuldenobergrenze, die gesetzlich fixiert bei 14,3 Billionen USD lag, wurde mit Zustimmung des Verfassungsorgans, dem US-Kongress, angehoben. Das Schuldenlimit wurde von 14,3 Billionen USD in zwei Schritten um insgesamt 2,4 Billionen Dollar (900 Milliarden USD im ersten Schritt) erhöht. Der totale Zahlungsausfall der USA konnte damit zwar abgewendet werden. Im Streit steht jedoch nach wie vor die Frage von Steuererhöhungen und der Finanz- und Fiskalpolitik. Die Republikaner sind strikt gegen Steuererhöhungen für Reiche und überdies gegen Einschnitte bei Einsparungen, die das Militär betreffen. Obama kennt die Probleme, die seine Amtsvorgänger ihm hinterlassen hatten. Gelähmt von der US-Hypothekenkrise sowie der Lehman-Pleite im Jahr 2008 schafft es die US-Ökonomie bis heute nicht mehr richtig in Fahrt zu kommen.

    Die US-Wirtschaft hat die wichtige Dominanz in Schlüsselindustrien verloren. 1972 war in der zivilen Luftfahrtindustrie noch die Boeing Company die unangefochtene Nr. 1, gefolgt von 2 anderen amerikanischen Flugzeugherstellern. 1972 wurde in Europa der erste Airbus A 300 in Dienst gestellt. Heute gibt es nur noch Airbus Industries und Boeing. Boeing Company kämpft um Platz 2 hinter Airbus und Chinas Luftfahrttechnik holt auf. Boeing ist auf milliardenschwere Konjunkturprogramme, etwa durch das US-Militär, sowie auf protektionistische Schutzmaßnahmen der US-Regierung angewiesen. Das US-Raumfahrtprogramm und damit eine ganz besonders wichtige Innovation wurde dem Rotstift geopfert.

    In den 80iger Jahren haben bereits Automobilhersteller aus Japan den amerikanischen Markt aufgerollt, heute erobern Automobile „Made in Germany“ als Lifestyle-Produkte die Herzen der US-Verbraucher. Die amerikanische Autoproduktion befindet sich in erheblichen Schwierigkeiten. Infrastruktur und Zentren der US-Autoindustrie wie etwa Detroit sind im Niedergang. Viele US-Unternehmen können bei schnellen Veränderungen auf den Märkten nicht mehr mithalten, selbst die IT-Branche ist dem Wettbewerbsdruck aus Asien ausgesetzt.

    Der US-Binnenmarkt kommt ins straucheln, weil die amerikanischer Bürger schlichtweg zu wenig Mittel haben, um konsumieren zu können. Die amerikanischen Verbraucher hatten zum Teil pro Kopf 10 Kreditkarten und mehr. Dies war vor der großen Finanz- und Hypothekenkrise 2008 üblich. Wer sein Haus verloren hat, vielleicht auch noch den Job, der kann einfach nicht mehr konsumieren. Die Konsumfähigkeit der US-Verbraucher war bislang eine prozentual sehr wichtige Stütze der US-Ökonomie. Der US-Arbeitsmarkt und der volatile Immobilienmarkt belasten die US-Ökonomie schwer. Überdies dürfen auch die Kosten für die unzureichende Lösung der Finanzkrise von nahezu 2 Billionen US-Dollar und der Anstieg der Ausgaben für Transferleistungen nicht vergessen werden.

    Der Verteidigungshaushalt und die Schattenhaushalte für die nationale Sicherheit verschlingen Unsummen. Selbst Finanzexperten fehlt die Übersicht. Deshalb müssen sich Finanzanalysten zunächst mit dem Zahlenmaterial begnügen, das veröffentlicht wurde. Ganz konkret geht es um die immensen Ausgaben von fast 3 Billionen Dollar für die aktiven Militäreinsätze in Afghanistan, im Irak und Libyen. Die Kosten für die Militärbasen weltweit, die militärische Mobilität, etwa die Flugzeugträgereinsatzflotte, U-Boot-Waffe und die Zuwendungen für Militärhilfe zugunsten ehemaliger Ost-Blockstaaten und anderer Länder kommt noch hinzu. Die Air Force unterhält allein 71 Stützpunkte in den USA und mindestens 34 weltweit. Die Navy unterhält in ihrem Arsenal 287 Schiffe in 7 Flottenverbänden weltweit mit 11 Flugzeugträgern und 3.700 Flugzeugen. Ein einzelner Flugzeugträger bilanziert mit rund 5 Milliarden USD und 13 Millionen Dollar Betriebskosten pro Monat (ohne Personalkosten).

    Das ist ein kleiner Teil der Fakten zum Verschuldungstand der taumelnden US-Ökonomie. Jetzt sollen kraft Vereinbarung noch mehr Schulden den US-Staatshaushalt belasten, während im Gegenzug zu diesen höheren Schulden längerfristige Einsparungen in einer Gesamthöhe von bis zu 2,8 Billionen Dollar geplant sind. Allerdings zehren die Kosten für die militärischen Auslandseinsätze (Military Operations) diese Einsparungen sofort wieder auf.

    Die USA und damit die größte Volkswirtschaft befinden sich in der Schuldenfalle. Im Vertrauen auf ein stetiges Wachstum und parallel steigender Steuereinnahmen bauten nahezu alle Regierungen auf die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Prozesse fortsetzen und Staaten als solvente Schuldner zu gelten haben. Die Finanzwirtschaft operiert mit mathematischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Seit der Finanzkrise funktioniert dieser Mechanismus jedoch nicht mehr. 2010 lagen die Verbindlichkeiten der Industriestaaten erstmals so hoch wie ihre eigene Wirtschaftskraft. Die Folge: Die roten Zahlen bremsen den Wohlstand. Die Geldgeber, Kreditinstitute, Versicherungen und Fonds werden zunehmend skeptischer und verlangen höhere Risikoprämien. Die Staaten finanzieren ihre Haushalte notwendigerweise durch Ausgabe von Staatsanleihen, ähnlich wie in der Wirtschaft die Unternehmen mittels Corporate Bonds, riskieren so ihre künftige Geldstabilität und finanzieren die jeweiligen Staatsdefizite – bis eben nichts mehr geht.

    Wie schnell sich die Schuldenfalle in Zukunft weiterdrehen wird, hängt unter anderem vom Rating der USA ab. Damit ist das zweite Hauptproblem der Amtszeit von Obama genannt: Die Vereinigten Staaten haben erstmals ihr Top-Rating „AAA“ als einer der zuverlässigsten Schuldner der Welt verloren und werden in Zukunft höhere Zinsen für das geliehene Kapital zahlen müssen. Die Bonität der umlaufenden Staatsanleihen eines Landes beurteilt die Rückzahlungswahrscheinlichkeit, die wiederum mit Wachstum und Ökonomie des Landes untrennbar miteinander verknüpft ist. Analysten gehen davon aus, dass als Folge der Abwertung die USA etwa 100 Milliarden USD pro Jahr zusätzlich aufwenden müssen, um den Schuldendienst zu bedienen. Eine der 3 großen Ratingagenturen, Standard & Poor’s (S&P), hatte am 05.08.2011, nach Börsenschluss der New York Stock Exchange (NYSE), die Herabstufungsentscheidung auf AA+ ausgesprochen und begründet. Solange die Vereinigten Staaten ihre Schuldenproblematik nicht in den Griff bekommen, sei die Bestnote AAA für die Bonität sowie Kreditwürdigkeit der umlaufenden Staatsanleihen des Landes nicht länger angemessen. Überdies könnte auch das langfristige Rating innerhalb der kommenden 2 Jahre auf AA herabgestuft werden. Zuvor hatte die kleinere US-Rating-Agentur, Egan-Jones, die Bonität der USA von AAA auf die Note AA+ mit Blick auf die taumelnde US-Wirtschaftskraft herabgestuft: Die USA könnten nicht mehr als einen der zuverlässigsten Schuldner der Welt eingestuft werden. Dagong Global Credit Rating Co. Ltd., eine der führenden chinesischen Rating-Agenturen, bewertet die Kreditfähigkeit der USA ohnehin nur mit der Note A+.

    Die Stabilität der US-Währung ist in Gefahr. Der „Deal 2011“ bedeutet nichts anders, als dass die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die in Umlauf zu bringende Geldmengen drastisch erhöhen muss. Es ist kein Geheimnis und längst kein Tabu mehr, dass die amerikanische Notenbank notgedrungen weiterhin im großen Umfang Staatspapiere wird aufkaufen müssen, mit der Folge, hierfür zusätzliche Geldmengen in Umlauf bringen zu müssen. Die im Umlauf befindliche Geldmenge wird nahezu unüberschaubar erhöht. Damit leistet die Fed ungewollt oder notgedrungen der Inflation und Abwertung des USD weiter Vorschub. Offenbar muss sie dies in Kauf nehmen, weil der Staat nicht mehr genug Gläubiger findet, der seine Schulden finanziert. Die Goldreserven von rund 8.000 Tonnen sind der letzte, verbliebene Stabilitätsfaktor des US-Dollar.

    Herausforderer Romney hat bereits angekündigt, die Geldstabilität und Währung wieder in den Fokus rücken und zugleich China, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, als „Währungsmanipulator“ zu brandmarken. Auch Handelssanktionen sind für Romney kein Tabu. China ist der größte Gläubiger der USA und droht nicht nur damit, das Engagement in amerikanischen Staatsanleihen zurückfahren zu wollen. Die Volksrepublik hält US-Staatsanleihen im Wert von mehr als einer Billion USD und 1,152 Billionen USD an Schatzanleihen. Sollte China die Dollarreserve in Höhe von 3,2 Billionen USD abstoßen und auf den Markt werfen, würde dies mit einem Schlag die ungesicherte Geldmenge erhöhen und die Inflation der US-Währung weiter anheizen. Der amerikanische Dollar gibt zunehmend seine Rolle als internationale Leitwährung an den chinesischen Renminbi ab. An seinem ersten Tag im Amt als US-Präsident beabsichtigt Romney alle Bundesbehörden anweisen, die Rücknahme jedweder Regulierung der Obama-Regierung einzuleiten, die die Wirtschaft oder die Schaffung von Arbeitsplätzen über Gebühr belasten.

    „As president, Mitt Romney will safeguard America and secure our country’s interests and most cherished ideals“, so präsentiert der Herausforderer seine strategische Ausrichtung.

    Bis zum Jahr 2015 sollen sich amerikanische Exporte verdoppeln, hofft jedenfalls Obama. Für Wirtschaftsexperten und Analysten steht hingegen fest: die USA operieren am absoluten, finanziellen Limit und die Ära der Präsidentschaft Obama neigt sich dem Ende zu.
    Sandro Valecchi

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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