2011 im Stresstest – ein alternativloser Blick zurück
Unter psychologischen Gesichtspunkten sind im Jahr 2011 zwei Aspekte besonders hervorgetreten. Zum einen ist dies der so genannte Sunk-Cost-Effekt[i], dem vor allem Politiker erlegen waren. Diese haben es nämlich fertiggebracht, im Verlauf der EU-Schuldenkrise immer höhere (Eventual)verluste und Risiken einzugehen. Und wenn man gar bedenkt, dass der erste Rettungsschirm im Januar dieses Jahres noch ein Volumen von 620 Milliarden Euro umfasste, welches dann aber in der Summe aller Rettungsschirme bis heute auf mehr als 1.800 Milliarden Euro angeschwollen ist, dann könnte man sogar von einem eskalierten Commitment sprechen.
Der zweite wichtige psychologische Aspekt, mit dem sich die Akteure konfrontiert sahen, waren Gewöhnungsprozesse, die dazu führten, dass sich längst nicht jede negative Botschaft aus der Eurozone in den Marktpreisen niedergeschlagen hat. Man denke nur einmal an den Euro, der gegenüber dem US-Dollar gerade einmal wieder auf das Niveau vom Jahresanfang (1,33 USD) gefallen ist – unterjährig hatte er sogar bis 1,50 USD zulegen können. Kurz gesagt: Die Akteure haben sich phasenweise relativ schnell an schlechte Nachrichten gewöhnt und diese zumindest vordergründig manchmal sogar ignoriert. Leider ließ sich aber auch beobachten, dass sich die Marktteilnehmer auch an Gutes – und das meist noch schneller als an Schlechtes – adaptierten. Man denke nur an die diversen EU-Gipfel, die manchmal durchaus auch positive Überraschungen mit sich brachten, die aber dennoch innerhalb kürzester Zeit vor allen Dingen von den Kommentatoren zerredet wurden. Anders ausgedrückt: Gute Nachrichten hatten im Jahresverlauf für die Marktteilnehmer eine abnehmende Halbwertszeit.
Immerhin hat es der Begriff „Stresstest“ zum Wort des Jahres gebracht, während das Unwort 2011 noch nicht feststeht – wir erinnern uns: Für 2010 wurde im Januar das Wort „alternativlos“ für diesen Titel auserkoren. Nicht nur, weil es von deutschen Politikern, vor allem von der Kanzlerin, oft und gern benutzt wurde. Sondern vor allem, weil es so schamlos implizierte, dass es sich bei der jeweils getroffenen politischen Entscheidung im Rahmen der Euro-Krise um die einzig mögliche und einzig richtige gehandelt habe. Dass sich viele Maßnahmen ex post dann doch als korrekturbedürftig herausstellten, wurde nicht einmal bedauert und tat dem weiteren Gebrauch dieses Wortes keinen Abbruch.
Bei unserer Hitliste der am meisten gelesenen Blog-Beiträge des Jahres lag interessanterweise ein Währungsthema auf Platz fünf. Denn „Ein schwerer Sündenfall“ bezog sich auf die Ankündigung der schweizerischen Notenbank (SNB), den Euro, sofern er auf den Kurs von 1,20 CHF zurückfiele, unbegrenzt aufkaufen zu wollen. Natürlich standen auch bei Blognition die Euro-Krise und ihre möglichen Folgen im Mittelpunkt. So etwa der Blog-Beitrag „Euro 2.0 – wenn der neue Euro kommt“, der auf Platz vier landete. Auch das Thema Währungsreform als worst case der Euro-Krise beschäftigte unsere Leser so sehr, dass der Artikel „Von der Euro-Krise zur Währungsreform“ als erster Teil einer Trilogie auf Platz drei landete. Reges Interesse weckte außerdem die US-Schuldenkrise. So wurde der Beitrag „US-Pleite wäre Supernova“ erst kurz vor Redaktionsschluss vom ersten Platz verdrängt. Diesen nimmt im Jahr 2011 nunmehr ein Beitrag ein, der anscheinend bei vielen Lesern Wehmut weckte, denn sein Titel lautete: „D-Mark für Deutschland“.
[i] Darunter versteht man die Tendenz, Verlustengagements unter erhöhtem Einsatz fortzusetzen, weil man bisherige Verluste (versunkene Kosten) einer Fehlentscheidung wieder wettmachen möchte