Behavioral Living Gesellschaft

Vor dem Museum sind alle gleich

am
27. August 2015

Eigentlich hatte ich doch Urlaub, und eigentlich stand doch ein Museumsbesuch auf dem Programm. Daher hatte ich nicht gedacht, dass ich so schnell wieder mit den Erkenntnissen meiner alltäglichen Arbeit konfrontiert würde. Dieses Mal war Amsterdam an der Reihe und meine Erfahrungen mit Museumsbesuchen in Großstädten hat mich gelehrt, Eintrittskarten besser im Voraus über einen Ticketverkäufer im Internet zu buchen, um lange Wartezeiten an den Kassenschaltern zu vermeiden. Das hatte vor kurzem während meines Aufenthalts in Paris beim Louvre sehr gut funktioniert und auch im Amsterdamer Rijksmuseum konnten wir dank unseres Onlinetickets die endlosen Schlangen mühelos passieren und uns sofort ins Innere begeben. So hatte es der Anbieter der Museumstickets im Internet versprochen, und so war es dann auch eingetreten.

Warum also sollte das nicht auch beim Van Gogh Museum in Amsterdam möglich sein, wo Tiqets.com ebenfalls einen bevorzugten Einlass verspricht, sofern man über diesen Anbieter die Eintrittskarten im Voraus erwirbt. Dann kam jedoch alles anders. Als wir am Museumstor eintrafen, fanden wir das vertraute Bild vor: Hunderte von Menschen standen ordentlich aufgereiht auf dem Bürgersteig und warteten geduldig auf Einlass. Aber wir doch nicht, beruhigte ich mich und meine Familie: „Die haben alle bestimmt noch keine Eintrittskarte“, erklärte ich. Doch ich sollte mich irren.

Tatsächlich sorgte ein Ordner dafür, dass auch wir uns richtig einordneten: „Die gelbe Reihe ist für Leute mit Onlinereservierungen!“ Auf meinen Einwand, genau dafür hätten wir doch extra im Voraus die Karten bei tiqets.com erworben, um eben nicht unnötig lange in der Hitze warten zu müssen, erwiderte der junge Herr nonchalant, dass wohl recht viele andere dieselbe Idee wie ich gehabt hätten. Gleichzeitig gab er uns den Tipp, beim nächsten Mal die Eintrittskarten direkt über die Website des Van Gogh Museums zu erwerben, dann käme man ohne Probleme und tatsächlich sofort ins Museum hinein. Nun aber müssten wir uns auf 90 Minuten Wartezeit einstellen. Ich traute meinen Ohren nicht. Wir beschlossen einstimmig – ein Abstimmungsergebnis, das bei unserer fünfköpfigen Familie ansonsten so gut wie nie vorkommt –, nicht auf den Sunk-Cost-Effekt hereinzufallen und nur deswegen noch anzustehen, weil wir bereits die Karten für teures Geld erworben hatten.

Stattdessen gingen wir shoppen.

 

Eskaliertes Commitment

Meine Rückfrage bei Tiqets.com nach unserer Heimkehr am Abend hätte ich mir eigentlich sparen können, denn eine Erstattung des Kaufpreises ist dort ausdrücklich nicht vorgesehen. Stattdessen riet man mir, uns am kommenden Tag doch einfach schon um 10:30 Uhr oder früher vor dem berühmten Van Gogh Museum einzufinden. Gesagt, getan. Am nächsten Tag fuhren wir erneut nach Amsterdam und stellten fest, anderen hatte man offensichtlich genau dasselbe empfohlen. Die Warteschlangen, auch unsere gelbe Reihe, waren jetzt, am frühen Vormittag, sogar schon länger als am Vortag. Und der Ordner sprach diesmal sogar von mindestens zwei Stunden.

Das nenne ich einen guten Service! Obwohl unser Commitment (erneuter Zeitaufwand und Anfahrtskosten) nun höher als bei unserem ersten Besuch war, wollten wir auch dieses Mal trotz aller bereits geleisteten Kosten gute Zeit nicht schlechtem Geld hinterherwerfen. Vincent wird es uns hoffentlich verzeihen. Aber das Geld für die Eintrittskarten war nun endgültig weg, weil wir bereits am nächsten Tag die Rückreise antreten mußten.

Ich fühlte mich wie ein Börsianer, der einen todsicheren Geheimtipp erhalten hat und dann feststellen muss, dass andere ebenfalls aus derselben Quelle informiert worden sind – die schöne, vielversprechende Kaufgelegenheit war natürlich schon längst davongelaufen.

Für den Museumsbesuch gilt das Gleiche: Wenn jeder ein Vorzugsticket kaufen kann, bedeutet das das Ende jeder Privilegierung, und alle müssen gleichbenachteiligt in der Schlange stehen. Den einzigen Vorteil hat, wie immer, allein der Ticketverkäufer.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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