Zur falschen Zeit das Richtige tun
Als Begründung für die jüngste deutliche Korrektur an den Aktienmärkten hat landläufig eine Erklärung herhalten müssen: Kapital floss aus Schwellenländern zurück in die USA und in andere so genannte „sichere Häfen“, raus aus Aktien, rein in Anleihen. Dabei haben sich in weniger als zwei Wochen nicht nur die Chancen für eine globale, sondern auch für eine konjunkturelle Erholung in den USA offenbar dramatisch verschlechtert. Allerdings versuchen die meisten Akteure immer noch abzuwiegeln, indem sie als Begründung für schlechter als erwartet ausgefallene Wirtschaftsdaten die extremen Wetterbedingungen in den USA im Dezember verantwortlich machen. Damit verschieben sie die Kontrolle über ihre eigentlich als sicher geglaubten Aktienengagements auf externe Kräfte, gegen die sie nichts ausrichten können. Und auf diese Weise werden gleichermaßen schlechte Konjunkturdaten wegrationalisiert und etwaige kognitive Dissonanzen aufgrund erlittener Aktienverluste verringert.
Doch die derzeitige Börsenentwicklung ist noch weitaus problematischer, wie es mein Mitstreiter Herman Brodie unlängst (hier) dargestellt hat. Die größte Gefahr für die konjunkturelle Erholung in den USA dürfte also nicht der starke Schneefall, sondern der Absturz des breitgefassten S&P 500 Index darstellen – mit negativen Folgen für andere wichtige Börsenplätze. Denn große Teile der Vermögen der Superreichen, der so genannten „high beta rich“, sind sehr stark an das Schicksal der Aktienmärkte gebunden. Nicht umsonst hat der Journalist und Schriftsteller Robert Frank den S&P 500 als das neue Bruttoinlandsprodukt bezeichnet.
Falling behind
Diese These hat in einer gerade erst kürzlich in der New York Times vorgestellten Studie neue Nahrung erhalten. Während der Zeitungsartikel in erster Linie die anhaltende Ausdünnung der Mittelklasse beklagt, kommt die Studie, in der die Entwicklung der Ungleichheit in den USA über die Jahre 1980 bis 2012 untersucht wurde, zu teils erschreckenden Erkenntnissen[1]. Danach bestand die Hauptursache für die steigende Ungleichheit während dieser Periode darin, dass die Haushaltseinkommen der unteren 95 Prozent kaum gestiegen sind, während sich der Anteil der oberen fünf Prozent am Gesamteinkommen (vor Steuern und ohne Kapitalerträge) aller Haushalte seit Anfang der 1980erjahre von gut 20 auf zuletzt mehr als 35 Prozent erhöht hat. Wenn es dabei den unteren 95 Prozent aus der Einkommensverteilung dennoch gelungen ist, ihren Konsum aufrechtzuerhalten, ist dies einer sinkenden Sparquote und einer größeren Verschuldung zuzuschreiben. Eine Strategie, die mit dem Beginn der Großen Rezession in den USA im Jahre 2008 ihr Ende finden sollte.
20 Prozent der Haushalte machen 90 Prozent der Konsumausgaben aus
Doch die Studie geht noch weiter. Mit Ende der Rezession im Jahre 2009 hat sich in der Folge der Konsum im oberen 20tel der Einkommensverteilung um inflationsbereinigt 17 Prozent erhöht, während die übrigen 95 Prozent der Haushalte ihre Konsumausgaben nur um ein Prozent erhöhen konnten. Allein im Jahre 2012 waren die oberen 5 Prozent der Spitzenverdiener für 38 Prozent des heimischen Verbrauchs verantwortlich. Weiter gefasst kann man davon ausgehen, dass 90 Prozent der inflationsbereinigten Konsumausgaben von den oberen 20 Prozent der am Einkommen gemessenen Haushalte getätigt wurden.
Tatsächlich konzentrieren sich in den USA viele große Geschäfte und Restaurants auf die wohlhabenden Kunden, indem sie ihnen hochwertige Güter und Dienstleistungen verkaufen. Während große Einzelhandelsketten Geschäfte schließen und Mitarbeiter entlassen müssen, sind High-end-Produkte gut nachgefragt. Und so wundert es auch nicht, dass im Jahr 2013 die Zimmer von 5-Sterne-Hotels wesentlich größere Erträge als die ihrer Mittelklasse-Rivalen abwarfen.
Man muss also nicht viel Fantasie aufbringen, um sich vorzustellen, was geschieht, wenn die oberen 5 Prozent auf der Einkommensskala aufgrund eines drastischen Einbruchs der Börsenkurse ihren Konsum deutlich zurückfahren müssen. Und so wundert es auch nicht, wenn die ersten kritischen Stimmen schon wieder vernehmbar sind, ob denn die US-Notenbank mit dem Zurückfahren ihrer Anleihekaufprogramme (Tapering) nicht vorschnell begonnen und damit den schönen Aufwärtstrend am Aktienmarkt und gleichermaßen eine sich selbst tragende ökonomische Erholung abgewürgt habe. „Schlechtes Timing“, hörte ich unlängst sogar einen Analysten sagen, „man wird es Janet Yellen [der neuen Fed-Chefin] in die Schuhe schieben“, fuhr er fort.
Mit dieser Einstellung hätte die Notenbank niemals mit dem Tapering beginnen können. Denn den richtigen Zeitpunkt, um eine fragwürdige Strategie zu beenden, wird es nie geben.
[1] Cynamon, Barry Z. and Fazzari, Steven M. (Jan 23rd, 2014): Inequality, the Great Recession, and Slow Recovery, http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2205524
Habnix
„Ja mit schlechtem Wetter im Winter konnte natürlich niemand rechnen und das sich dadurch die Wirtschaftsdaten verschlechtern ist doch höhere Gewalt.“
Habnix
Die Wirtschaft richtet sich nur noch nach den oberen 20% ?
20% und noch weniger bestimmen über den Rest der Menschheit ?Die US-Notenbank soll also das tun was 20% und weniger wollen.
Oh je !
Joachim Goldberg
Nein, dass soll die Notenbank eben nicht tun. Mit dem QE3-Programm handelt es sich m. E. um eine fragwürdige Strategie, die man schleunigst beenden sollte. Aber jedes Mal wenn die Fed sich dazu aufrafft, etwas in der Richtung zu unternehmen, ist es für manche Kommentatoren der falsche Zeitpunkt. Und ich werde den Eindruck nicht los, dass ein weiterer Kursverfall am Aktienmarkt von noch einmal 5 bis 10 Prozent die Notenbank zum Unterbrechen des Tapering bringen würde.