Wer hat Angst vor Deflation?
Als ich gestern Abend Gast im Presseclub Frankfurt bei einer Veranstaltung des Forums für Qualitätsjournalismus und der hessischen Landeszentrale für Bildung sein durfte, ist mir in Hinblick auf die Politik der EZB einiges klarer geworden. Obgleich es bei dieser Gesprächsrunde um das Thema „Hochgejubelt und runtergeschrieben? – Der Euro im Spannungsfeld von Medien und Öffentlichkeit“ gehen sollte, bewegte sich die Diskussion relativ schnell auf die Frage zu, ob sich die Eurozone derzeit tatsächlich in einem deflationären Umfeld befände oder nicht. Und da die Gesprächsrunde unter anderem von Mitarbeitern aus den Presseabteilungen von EZB und Bundesbank bestritten wurde, zeichneten sich auch recht schnell die unterschiedlichen Einschätzungen der Preisentwicklung in der Eurozone ab. Während Peter Ehrlich, innerhalb der EZB zuständig für die Global Media Relations, durchaus bekannte, dass man in seinem Hause deflationäre Gefahren innerhalb des Euroraums wahrnähme, wies der Sprecher des Bundesbankpräsidenten, Michael Best, diese Befürchtungen weit von sich.
Dazu passt auch die gestrige Rede von Bundesbankpräsident Jens Weidmann, in der er erklärte, dass er eine weitere Schrumpfung der Bankbilanzen vor allem in Südeuropa für unerlässlich halte. Schnell konnte man da eins und eins zusammenzählen: Die Verkleinerung der Bankbilanzen ist eine Ursache für das schrumpfende Kreditvolumen im Euroraum, was sich wiederum in einem niedrigeren Geldmengenwachstum niederschlägt und letztlich zu vermehrtem Druck auf die Inflationsrate führen kann. Weidmann schätzt das Risiko einer Deflation – ungeachtet der jüngst sehr niedrigen Teuerung – derzeit also als gering ein. Und wenn der Bundesbankpräsident die äußerst niedrige Inflationsrate in der Eurozone für eine Folge sinkender Energiepreise und für durch den Anpassungsprozess in den Krisenländern bedingt hält, wird doch eines deutlich: Jens Weidmann hat entgegen anders lautenden Darstellungen zwar seine Haltung zu unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen möglicherweise tatsächlich ein wenig geändert, doch bei den Voraussetzungen für deren Einführung bleibt er unverändert hart.
Sondereffekte als Rechtfertigung
Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass mit Hinweis auf Sondereffekte, die durch die Verkleinerung der Bankbilanzen entstehen, selbst noch eine Inflationsrate von 0,0 Prozent oder gar eine leichte Deflation nicht notwendigerweise ein Grund für die Bundesbank wäre, die Zinsen zu senken oder gar unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen. Denn über den mittelfristigen Preisausblick, an dem die EZB ihre Geldpolitik ausrichtet, könnten sich solche Sondereffekte wieder einpendeln. Und wenn der Sprecher des Bundesbankpräsidenten, Michael Best, im Presseclub darauf verwiesen hat, die durchschnittliche Inflationsrate der vergangenen fünf Jahre habe sich auf dem von der EZB angestrebten Niveau bewegt – eine Einschätzung, die für eine erfolgreiche EZB-Politik in der Vergangenheit spricht – klingt das für mich wie eine Bestätigung dieser Position. Dazu passt auch, dass, zumindest für meine Ohren, aus Bests Ausführungen herauszuhören war, dass man nicht gerade glücklich gewesen sei über den berühmten „whatever it takes“ Ausspruch[1] von EZB-Präsident Mario Draghi, mit dem dieser im vorletzten Jahr möglicherweise den Euro vor dem Auseinanderbrechen gerettet hat.
Am Ende bleibt bei mir der Eindruck, dass sich an Jens Weidmanns Haltung innerhalb des EZB-Rates kaum etwas geändert hat. Sicherlich hat er über unkonventionelle quantitative Lockerungsmaßnahmen nachgedacht, vielleicht auch diskutiert. Aber zum Einsatz sollen diese Instrumente offenbar bestenfalls erst dann kommen, wenn tatsächlich eine massive Krisensituation für die (Banken der) Eurozone droht, etwa im Falle der Zahlungsunfähigkeit einer wichtigen Nation.
Anscheinend glauben auch die Anleger, die die Börse Frankfurt wöchentlich nach ihrer Stimmung befragt, dass die EZB sobald nicht handeln wird. Denn dort hat sich die Stimmung, die ich (hier) kommentiert habe, weiter verschlechtert.