Weißes Hemd
Eigentlich wollte ich mir nur ein neues weißes Hemd kaufen, in gängiger Größe, kein besonderer Schnitt. Im Internet wurde ich schnell bei einem traditionellen Herrenausstatter fündig. Immerhin: 69 Euro sollte das gute Stück kosten, aber im Rahmen einer Werbeaktion und wahrscheinlich, um mir die Kaufentscheidung etwas leichter zu machen, durfte ich mir noch ein weiteres Hemd der gleichen Qualität und Preisklasse aussuchen. Also wählte ich ein dunkelblaues, obwohl ich das nicht wirklich benötigte. Aber es war ja gratis. Wenige Tage später traf bereits das Päckchen ein. Aber darin entdeckte ich lediglich das blaue Gratishemd – dessen Qualität mir allerdings gefiel. Weniger gefiel mir, dass ich keine Erklärung, keine Entschuldigung dafür vorfand, warum man mir bei dieser Sendung das, was ich geordert hatte, vorenthielt. Meine eigentliche Bestellung war vom Versand anscheinend vergessen worden.
Doch dann erhielt ich mit separater Post eine so genannte „Information zum Liefertermin“. Samt Bestellkatalog. Anders als zugesagt, könne man mein Hemd leider nicht sofort liefern, sondern erst Ende Januar 2014. Diese Ware sei überraschenderweise restlos ausverkauft, ließ man mich wissen. Selbstverständlich würde ich, sobald eine neue Lieferung im Januar eingetroffen sei, mein weißes Hemd zu den jetzigen Sonderkonditionen geliefert bekommen. Ja, man versprach mir sogar, mich vor allen anderen Kunden zu bedienen. In der Tat, das war ein klug gewählter Referenzpunkt, damit ich mich besser fühlen konnte: Nur mir wurde das Privileg zuteil, sozusagen auf der Überholspur an der digitalen Warteschlange und allen, die sich dort in Erwartung der neuen Hemden einreihen mussten, vorbeizuziehen! „Das fühlt sich gut an, aber ob es stimmt, lässt sich nicht nachprüfen“, dachte ich mir. Und wegen meiner pessimistischen verhaltensökonomischen Sicht konnte das Versandhaus bei mir mit so etwas sowieso nicht punkten.
Aber damit noch nicht genug der Wohltaten. Als Entschuldigung für die verzögerte Auslieferung des Hemds bot man mir einen 20-Euro-Gutschein auf das gesamte Sortiment an. Das könne ja womöglich, so legte mir das Entschuldigungsschreiben nahe, meine Weihnachtseinkäufe deutlich verbilligen. Dann las ich weiter: Der Gutschein war gültig erst ab einem Auftragswert von 80 Euro und musste überdies noch in diesem Jahr eingelöst werden. Ja, bei diesem Internet-Versandhaus versteht man in der Tat etwas von mentaler Kontoführung[1].
Zu viel des Guten
Bewaffnet mit dem Gutschein schaute ich mich abermals im Onlineshop herum. Ob ich noch vor Weihnachten ein weißes Hemd in Größe 42 bekommen würde? Und da entdeckte ich es erneut, mein weißes Hemd, und es war genauso „sofort lieferbar“ wie noch eine Woche zuvor. Vorsichtshalber rief ich bei der Hotline an und fragte, wie das denn möglich sei. Die Antwort: „Im Internet daten wir nicht so schnell up“.
Und dann machte ich das, was ich bei Rabattaktionen immer empfehle. Ich rechnete einmal zusammen, was gewesen wäre, wenn ich tatsächlich von meinem Gutschein Gebrauch gemacht hätte: Zwei weiße Hemden, auf Wochen hinaus nicht lieferbar. Plus ein kostenloses blaues Hemd, das ich eigentlich nicht gebraucht, aber dummerweise bereits anprobiert hatte[2] und ein 20 Euro Rabattgutschein, ohne den ich meine Bestellung nicht vergrößert hätte. Und psychologisch gesehen? War ich mittlerweile schon viel zu verstrickt in diese Angelegenheit, dass ich es nicht mehr schaffte, von meinem Rückgaberecht Gebrauch zu machen.
[1] Einem als Verlust wahrgenommenen Verkaufspreis steht ein als Gewinn wahrgenommener Gutschein gegenüber, der aber nur bei einem weiteren Kauf realisiert werden kann
[2] Mit dem Auspacken und dem Anprobieren der Ware erhöht sich die Bindung an die gekaufte Ware