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23. September 2011

Mit dem drohenden Konjunktureinbruch und den schwachen Börsen hierzulande sind auch wieder die Cost-Cutter, die Kostensenker im Geld-Gewerbe unterwegs. Immerhin geht es um die Einsparung von Millionen, wenn nicht gar Milliarden Euro. Und wenn in den vergangenen Jahren überhaupt noch irgendwo gefeiert wurde, dann ist jetzt endgültig Schluss damit. Die Kostensenker streichen, was überhaupt noch zu streichen geht, kürzen hier und sparen dort.  Und so hat es womöglich auch die Zeitungs-Abonnements erwischt, dank derer sich Händler und Kundenberater bislang frühmorgens ein erstes Bild über die Märkte verschaffen konnten. Nach dem Motto: „Eine Zeitung reicht für Euch“, muss man jetzt zusehen, wenigstens das einzige Exemplar der Abteilung flüchtig studieren zu können.

Und mit diesem Wissen gewappnet geht’s dann ins nächste Morning Meeting, dort, wo die Tagesstrategien besprochen werden sollen. Man stelle sich vor, dass dummerweise die einzig übrig gebliebene Zeitung für die Händler und Kundenberater heute mit einer Fehlmeldung im Finanzmarktteil aufmacht. Und gerade auf diesen zweifelhaften Artikel geht der Chef dieses Meetings besonders intensiv ein. Er, der nach Wochen fallender Aktienkurse ganz begierig darauf ist, endlich einmal wieder als starker Börsenbulle tätig zu werden. „Ja, das habe ich auch irgendwo gelesen“, bestätigt der Chefanalyst. Und ein Kundenberater echot: „Wie mein Vorredner schon sagte – ich finde die Geschichte auch gut“. Schließlich stößt zu unserer Kleingruppe noch verspätet ein junger Kollege hinzu, der zufällig dieselbe Zeitung in der S-Bahn gelesen hatte. „Habt Ihr diese Geschichte entdeckt?“ – Die anderen gucken ihn fast schon mitleidig an. Und voller Zuversicht lautet der Tagesbefehl: Heute wird gekauft.

Die Entscheidung mag womöglich sogar richtig gewesen sein, vordergründig vielleicht sogar effizient. Aber traf man sich nicht zum Morning Meeting, um die verfügbaren Informationen aller Teilnehmer zu sammeln? Werden solche Treffen von Kleingruppen nicht in erster Linie installiert, um extreme Entscheidungen zu vermeiden, die ein Einzelner alleine, ohne Korrektiv und ohne soziale Kontrolle leicht fällen könnte? Aber in unserem Beispiel stammen sämtliche Informationen der Mitarbeiter, das ausschlaggebende Kaufargument des Chefs von demselben Zeitungsartikel. Der wurde mehrfach kopiert und präsentiert, so dass irrigerweise den Eindruck bei den Kollegen entstand, es handele sich beim ständigen Zitieren ein- und derselben Falschmeldung um deren mehrfache Bestätigung. Tatsächlich wird diese auch durch permanentes Wiederholen weder richtiger noch die auf ihr basierende Handelsstrategie sicherer. Vielmehr hat die Gruppe die Chance, um derentwillen sie überhaupt zusammenkam, nicht genutzt: Gemeinsam einen Wissensvorteil zu erarbeiten. Stattdessen haben sich ihre Mitglieder von einer einzigen Information überzeugen lassen. Dank dieser vermeintlichen Übereinstimmung, verstärkt durch die gegenseitige Affirmation, denken alle dasselbe und anscheinend das Richtige. Das führt zu einem solchen Selbstvertrauen, dass die Entscheidung des Kollektivs am Ende viel riskanter und extremer ausfällt, als sie ein Einzelner je zu treffen gewagt hätte.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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