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Schweizer Franken, eine Geschichte zwischen Hoffnung und Angst – oder: Was Sie möglicherweise im vergangenen Monat verpasst haben könnten

am
6. Februar 2012

Es ist schon erstaunlich, wie stark der Schweizer Franken derzeit die Gemüter bewegt. Vor allen Dingen diejenigen, die sich von Berufs wegen mit dem Wechselkurs auseinandersetzen müssen, diskutieren die zukünftige Entwicklung des Franken durchaus kontrovers. Erinnern wir uns: Vor nicht ganz fünf Monaten hatte die Nationalbank beschlossen, den Franken gegenüber dem Euro nicht mehr über 1,20 steigen zu lassen. Und das mit der Bereitschaft verknüpft, im Zweifel Fremdwährungen in unbegrenztem Maße aufkaufen zu wollen.

Inzwischen ist der Euro gegenüber anderen Valuten zuletzt sogar gestiegen. Nicht so im Verhältnis zum Schweizer Franken, wo er sich entgegen dem allgemeinen Euro-Trend während der vergangenen zehn Wochen peu à peu abgeschwächt hat. Mittlerweile hat die Distanz zum Interventionsniveau vorübergehend weniger als 40 Pips betragen. Da muss man sich schon fragen, wer bereit ist, auf diesem Niveau noch Euros zu verkaufen bzw. Franken zu kaufen.

Offen gesagt, interessiert es mich nicht, ob die Nationalbank demnächst aggressiv, sprich: aktiv oder passiv intervenieren und bei 1,20 CHF pro Euro die Hand aufhalten wird, um ihr Versprechen einzulösen. Prinzipiell gehe ich jedoch davon aus, dass verdeckte und überraschende Interventionen  erfolgreicher sind, als wenn ein bestimmtes Kursniveau zur Verteidigung ausgerufen wird. Aber nun hat sich die Nationalbank auf 1,20 CHF festgelegt und muss damit zurechtkommen. Nicht weil etwa törichte Spekulanten die SNB herausfordern und auf Teufel komm raus Euros gegen Schweizer Franken verkaufen würden. Nein, mir machen vielmehr die Akteure Sorge, die – mit Verlass auf das Versprechen der Notenbank – im großen Stile Euro gekauft haben, in der Hoffnung, die Schweizer würden es nicht bei warmen Worten belassen, sondern durch massive Interventionen den Wechselkurs nach oben treiben. Ja, zwischendurch machte immer wieder das hoffnungsvolle Gerücht die Runde, die SNB könnte ihren Interventionsboden gar auf 1,25 oder 1,30 CHF anheben. Mit der Folge, dass all die großen spekulativ aufgebauten Euro-Long-Positionen mit garantierten Gewinn hätten glatt gestellt werden können. Aber davon spricht jetzt vorsichtshalber niemand mehr.

Ich habe mich immer gefragt, warum die SNB so etwas tun sollte, wo sich doch ihr Commitment durch ein erhöhtes Kaufgebot drastisch erhöht hätte. Mehr noch, hätte sie den Marktteilnehmern einen Gewinn frei Haus geliefert, der ihr (in Form eines günstigeren Interventionskurses)  eigentlich selbst zugestanden hätte. Am Ende hätte sich die Nationalbank womöglich fragen lassen müssen, warum um alles in der Welt, sie denn so viel für die Deckelung des Franken hätte bezahlen wollen. Wo doch massive Interventionen ab einem gewissen Volumen auch eine Gefahr für die schweizerische Volkswirtschaft darstellen können.

Die derzeitige Diskussion zeigt aber auch, dass die Akteure sich anscheinend nicht mehr so ganz sicher sind, ob man sich auf die SNB tatsächlich zu 100 Prozent verlassen könne. Ansonsten würden wohl nicht so viele gut gemeinte Ratschläge für die Nationalbank derzeit die Runde machen. Etwa auch die ganz banale Frage, wie denn die SNB außerhalb der europäischen Geschäftszeiten ihren Kurs verteidigen kann. Interessanterweise war auch unser Blog „Schweizer Bluff“ der meistgelesene des Monats Januar. An zweiter Stelle, kaum minder interessant, lag der kritische Beitrag zum Verhalten der Ratingagenturen „Cui bono?“. Auch unsere Rubrik „Jenseits von Gut und Böse“ hat es mit dem Beitrag „in der Shoppingfalle“ wieder einmal unter die ersten drei des Monats geschafft.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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