Paradoxe Reaktion?
Wenn eine Mehrheit insgeheim dasselbe erwartet, kann es an den Finanzmärkten durchaus zu Reaktionen kommen, die man vordergründig und vor allem aus ökonomischer Sicht als paradox bezeichnen könnte. Die Rede ist von der Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank (FOMC), dessen Beschluss, die Leitzinsen nun doch nicht zum ersten Mal seit fast zehn Jahren wieder zu erhöhen, die Aktienmärkte bereits in der vergangenen Woche unter Druck gebracht hatte, statt sie zu beruhigen. Natürlich muss man in Rechnung stellen, dass die auf einen späteren Termin verschobene Zinserhöhung (sofern sie überhaupt kommt) die Unsicherheit über deren Folgen für die Finanzmärkte nicht beseitigt hat. Das wäre aber auch nicht geschehen, wenn die Fed sich am vergangenen Donnerstag tatsächlich zu einer Zinserhöhung durchgerungen hätte. Denn es hätte wahrscheinlich – auch wenn viele Akteure für diesen Fall zuletzt keine neuen Trends in Form einer Reihe weiterer Zinserhöhungen gesehen haben mögen – nicht allzu lange gedauert, bis an den Märkten die Diskussion und die Angst eingesetzt hätte, wann einem ersten Zinsschritt wohl ein weiterer folgen werde.
Bullish trotz Dieselgate
Offenbar hat es die Börsianer aber nicht verunsichert, dass es als Reaktion auf diesen mehrheitlich erwarteten Ausgangs der Sitzung des Offenmarktausschusses zu keiner Jubelrallye des DAX und an anderen Aktienmärkten kam, sondern eher zu so etwas wie einem „bullishen Rohrkrepierer“. Eine Erklärung scheint naheliegend: Weil die Mehrheit der Akteure zuvor bereits optimistisch und somit entsprechend „long“ positioniert war. Jetzt hofft man mancherorts insgeheim sogar auf ein neues quantitatives Lockerungsprogramm (QE4).
Im Ausland scheint der Optimismus indes nicht so stark ausgeprägt zu sein. So wird dort vielmehr gemutmaßt, die abwartende Haltung der Fed beruhe auf der Befürchtung, dass sich die Entwicklung in China oder auch an den Emerging Markets am Ende auch global negativ auswirken könne.
Als ob man das nicht auch schon vor der FOMC-Sitzung gewusst hätte.
Nun ist auch noch VWs „Dieselgate“ hinzugekommen, ein Skandal, dessen Folgen in ihrer ganzen Tragweite von den Akteuren an den Finanzmärkten noch gar nicht erfasst worden sein dürften, der aber bereits jetzt den DAX zusätzlich unter Druck gesetzt hat. Alleine die hochgerechneten Kosten, die auf VW in Form von milliardenschweren Strafen zukommen könnten, setzen diese Affäre in ein Licht, das mindestens so grell scheint wie die diversen Manipulationen und Machenschaften einiger Investmentbanken.
Warum die Anleger hierzulande nun mit dieser Situation dennoch entspannt umzugehen scheinen, habe ich in meinem Kommentar zur jüngsten Sentiment-Umfrage der Börse Frankfurt HIER dargelegt.