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18. Februar 2011

Wer sich für alternative Prognosemethoden interessiert, der dürfte bei intensiver Recherche auch auf eine kleine verschworene Gemeinschaft von Analysten stoßen, die sich mit Finanzastrologie beschäftigen. Kaum jemand spricht darüber, schon gar nicht in der Öffentlichkeit, denn alles Esoterische ist in den Finanzmärkten natürlich verpönt. Aber insgeheim sucht in der Welt der Bluechips fast jeder auch nach der Blauen Blume, dem Stein der Weisen oder dem Gral der wundersamen Geldvermehrung, – und warum sollte man dabei nicht auch die Sterne zu Rate ziehen.

Ich selbst kann mich an das Jahr 1989 erinnern, als man im Devisenhandel, hinter vorgehaltener Hand versteht sich, tatsächlich einander zuwisperte, wohin die Reise des US-Dollar (damals gegenüber der D-Mark) gehen würde. Eine inoffizielle Handelsregel lautete damals: „Verkaufe Dollar an Vollmond, kaufe sie bei Neumond, und bei Finsternissen mache das Gegenteil“. Dieses Rezept funktionierte ein paar Monate lang so gut, dass am Tag vor dem Septembervollmond (also am 15. September 1989) ein aufgeregter Volkswirt aus Sydney ein Telex in die Welt verschickte, in dem er verkündete, dass er zwar Ökonom sei, jetzt aber einem Geheimnis auf die Spur gekommen wäre. Manchmal müsse man eben nur einmal über den Tellerrand hinausschauen. Und mit Entsetzen musste ich feststellen, dass der gute Mann in kurzen Zügen die bis dahin nur in eingeweihten Zirkeln bekannte Goldene Regel für alle lesbar preisgab[i].

Ich rief sofort eine befreundete Händlerin an, die sich intensiv mit dieser Materie auskannte. „Dann verkaufe ich halt heute schon Dollar, sozusagen bevor die Masse kommt“, lautete ihr pragmatisches Statement – der Vollmond konnte kommen. Auch ich werde nie vergessen, wie an diesem 15. September 1989 der Dollar im frühen fernöstlichen Handel schon einmal um 2 Prozent abtauchte, sich dann aber später wieder erholen konnte. Und dann saßen wir da und warteten, was an jenem Freitag wohl passieren würde. Und wir trauten unseren Augen nicht: Der Dollar wollte nach 13:52 Uhr, dem exakten Vollmondtermin, einfach nicht fallen. Stattdessen stieg er pfennigweise, um gegen Ende des Europäischen Handelstages sogar noch einmal kurz die ominöse 2,0000-DM-Linie zu überschreiten. Was war geschehen?

Die kosmische Regel hatte sich im Markt herumgesprochen. Und jetzt wollte jeder – Astrologie hin oder her – offensichtlich mit einer Dollar-Short-Position vom Vollmond-Phänomen profitieren. Und als die Dinge dann nicht so liefen wie erhofft, musste manch einer angesichts des bevorstehenden Wochenendes (darin immerhin diszipliniert) zum Handelsschluss spätestens um 16:00 Uhr sein Engagement mit zum Teil hohen Verlusten wieder glattstellen. Und wenn Sie, lieber Leser, tatsächlich auf eine Chart von damals blicken möchten, werden Sie für diesen Tag eine außergewöhnliche, mehr als dreiprozentige Handelsbandbreite[ii] feststellen können. Und Sie könnten womöglich auch noch heute die Auffassung vertreten, es sei doch sinnvoll gewesen, an diesem Tage den Dollar leer zu verkaufen. Fragt sich eben nur zu welchem Preis.


[i] In der Tat wusste der Ökonom mit seiner Theorie zu überzeugen, denn der Mond beeinflusse nicht nur Ebbe und Flut, sondern auch den Menschen, der zu 90 Prozent aus Wasser bestünde.

[ii] Der 15. September 1989 weist die größte tägliche Handelsrange des ganzen Jahres für US-Dollar gegen D-Mark auf!

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2 Kommentare
  1. Antworten

    Erika D.

    18. Februar 2011

    Joachim, Dein Artikel gefällt mir ausgesprochen gut! Daß dieser Markt durchaus auch mit und wegen Verabredungen funktioniert, habe ich schon immer vermutet, obwohl ich keine Vorbildung in diese Richtung habe. Damit wurde die Einbildung der Astrologie wohl endgültig bewiesen, wie ich meine.
    Lg erika

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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