Investmententscheidungen Märkte

Letzter Aufruf vor dem Abheben?

am
28. November 2013

Bei einem DAX von fast 9.400 Zählern wundert es nicht, wenn „Experten“ im Börsen-TV oder in Zeitungs-Interviews gefragt werden, ob denn „der Anleger“ jetzt noch einsteigen solle. Eigentlich eine fiese Frage, weil sie den Interviewten leicht ins Schlingern bringen kann. Denn das Schlimmste, was einem „Börsenprofi“ passieren kann, wäre, ausgerechnet am Höhepunkt der Kursentwicklung zum Kaufen zu raten und diesen Tipp hinterher bereuen zu müssen, wenn der Markt anschließend kurzerhand heftig nach unten dreht. Während ein Experte im Zweifel aber durch seine Fehlprognose bestenfalls sein Gesicht verliert, geht es beim „Anleger“ um weitaus mehr, möglicherweise um gravierende Verluste, wenn nicht um sein ganzes Vermögen. Sein Commitment ist also ungleich höher.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich noch vor einem Jahr in meinem Bekanntenkreis immer wieder für die Aktie als Investment warb und oft zur Antwort bekam: „Ach nein, lieber nicht.“ Zu frisch waren noch die erlittenen Verluste aus der Finanzkrise. Und als der DAX schließlich die 8.000er Marke knackte, winkte ein guter Bekannter von mir dankend ab, er habe gerade den Newsletter eines renommierten Finanzmarkt-Profis gelesen, und dieser prognostiziere, dass der DAX bald auf 6.000 Punkte zusammenkrachen werde. Manche wurden klassisch und sprachen von den Iden des März (2013). Aber der DAX war einfach nicht tot zu kriegen, und als er drei Monate später bei 8.500 Punkten stand, traf ich denselben Bekannten zufällig auf der Straße. „Wie ist die Stimmung, geht‘s weiter hoch?“, fragte er. „Ich glaube schon“, erwiderte ich. Mein Bekannter (strahlend): „Ich glaube, Aktien haben wirklich noch Potenzial, bei der nächsten Korrektur steige ich ein“ – worauf ich ketzerisch erwiderte: „Und wenn die nicht kommt?“ – „Ich muss ja nicht um jeden Preis mitmachen“, gab sich mein Gegenüber gelassen.

 

Kann man jetzt noch einsteigen?

Gestern habe ich ihn erneut getroffen: „Du hast recht gehabt, ich glaube jetzt auch, dass der Aktienmarkt hochgeht“, sagte mein Bekannter im Brustton der Überzeugung. Und dann fragte er mit leichter Verlegenheit in der Stimme: „Kann man jetzt noch einsteigen?“ „Das kann man immer“, antwortete ich vage. Und dann versicherte ich ihm, dass man auch einmal seine Meinung ändern dürfe, wenn man dafür gute Gründe habe. Zwar wollte ich ihn nicht ärgern, aber die Frage, warum er einen Aktienmarkt, den er bei einem Stand von 8.000 Punkten als teuer eingeschätzt hatte, jetzt, wo er noch einmal um 1.000 Punkte zugelegt hatte, plötzlich für fair bewertet hielt, konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Diesen Aufwärtstrend hätte ja selbst seine sechsjährige Tochter gesehen, bekam ich nun zu hören. Beweis genug also, dass der Aktienmarkt wirklich stabil sei. Aber am Allzeithoch kaufen? Das sei doch fast genauso schlimm, wie sich am tiefsten Punkt von seinen Verlustbringern zu trennen.

Dabei müsste sich mein Bekannter eigentlich nur einmal vorstellen, er wäre zu Beginn dieses Jahres bei einem DAX-Niveau von knapp 7.700 Punkten eingestiegen[1]. Würde er diese Aktien jetzt verkaufen wollen? Wer diese Frage mit einem aufrichtigen „Ja“ beantwortet, dürfte konsequenterweise heute nicht mehr in den Aktienmarkt einsteigen. Nur ein klares Nein wäre die logische Voraussetzung dafür, auch noch am (vorläufigen) Allzeithoch zu kaufen. Auf eigenes Risiko natürlich.



[1] Bei diesem Szenario wird ein neuer Referenzpunkt ins Spiel gebracht, womit sich eine neue Sichtweise des Problems ergibt. Was es sonst noch mit derartigen Referenzpunkten auf sich hat, erfahren Sie im nächsten Beitrag

 

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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