Karlsruher „Ohrfeige“ schmerzt Börsianer nicht
EUR USD (1,0840) Es muss gestern tatsächlich für Finanzmarktakteure eine Schrecksekunde gegeben haben, als bekannt wurde, dass das Bundesverfassungsgericht das Programm der EZB, Staatsanleihen in Billionenhöhe anzukaufen, in Teilen für verfassungswidrig erklärte. Und sollte die EZB nicht innerhalb von drei Monaten überzeugende Begründungen liefern, die eine Verhältnismäßigkeit des Programms nachweist, darf sich die Deutsche Bundesbank in Zukunft nicht mehr an den Anleihekäufen beteiligen. Allerdings – dies hatte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, deutlich gemacht – gilt die Karlsruher Entscheidung nicht für die jüngsten Anleihekaufprogramme, also beispielsweise nicht für das 750 Mrd. EUR schwere Corona-Nothilfe-Programm namens PEPP.
Die EZB wird es wohl richten
Ich möchte an dieser Stelle gar nicht darauf eingehen, welche Signalwirkung das gestrige Urteil für die Bedeutung der EU-Rechtsprechung haben könnte. Aber ich bin davon überzeugt, dass es der EZB und ihrem Heer an juristischen und ökonomischen Spezialisten nicht schwer fallen wird, eine ausreichende Begründung für die Verhältnismäßigkeit ihrer Mittel zu liefern. Und diese Begründung dürfte sich, wenn überhaupt, nicht nur mit der hierzulande immer wieder gerne vorgebrachten Opferrolle des deutschen Sparers oder den gestiegenen Immobilienpreisen beschäftigen. Man darf für diesen Fall davon ausgehen, dass auch die Milliarden Euro, die Deutschland in den vergangenen Jahren bei der Schuldenfinanzierung sowohl an Zinsen als auch an etwaiger Neuverschuldung erspart wurden, präsentiert werden. Oder die deutschen Exporte, deren Volumen in den vergangenen Jahren immer für einen Platz auf dem internationalen Siegertreppchen gut waren. Exporte, von denen übrigens mehr als die Hälfte an die Europäische Union gehen.
Börsianer ohne Sorge
Während die Aktienmärkte der Eurozone und auch hierzulande im übertragenen Sinne vom Karlsruher Urteil nur achselzuckend Notiz genommen hatten, gab es – wenn auch mit einiger Verzögerung – eine deutlichere Reaktion beim Euro zu beobachten. Oder war es doch fortgesetzte Dollarstärke, die sich negativ auf die Gemeinschaftswährung auswirkte? Etwa weil sich die chinesischen Staatsmedien gestern US-Außenminister Michael Pompeo quasi stellvertretend für die ganze Trump-Administration zur Brust nahmen, nachdem diese China für die Verbreitung des Corona-Virus verantwortlich gemacht hatte?
Kurzum: Die Aktienmärkte schüttelten gestern die Risikoaversion der Vortage ab, weil sich, anders als bei den Kommentatoren, keine großen Sorgen wegen Karlsruhe breitmachten. Nach dem Motto: Sollen sich doch die Juristen ruhig schlagen, die EZB wird es schon richten. Allein der Euro konnte sich nicht von seinem leichten Schwächeanfall erholen und beendete, nachdem er sein Stabilitätsniveau zuvor bei 1,0835 verletzt hatte, die hiesige Handelssitzung zumindest trendtechnisch im Niemandsland. Um der Gemeinschaftswährung eine positivere Perspektive zu bieten, müsste nun andererseits 1,0940 überwunden werden – der faire Wert des Euro liegt nach Berechnungen unseres Behavioral-Finance-Modells übrigens bei 1,0920.
Hinweis
Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.