In Richtung Unsicherheit
Als mich im Anschluss an meinen Blogbeitrag von der vergangenen Woche ein Leser fragte, ob ich es denn für möglich hielte, dass Hillary Clinton ihren klaren Vorsprung gegenüber Donald Trump bei den US Präsidentschaftswahlen noch verspielen könnte, mit einem Ja beantwortete, hatte ich noch keine blasse Ahnung davon, was diesen Stimmungsumschwung tatsächlich auslösen könnte (vgl. HIER und HIER). Nun liegt Donald Trump jüngsten Umfragen der Washington Post und ABC News zufolge sogar knapp in Führung und es scheint gerade aus psychologischer Sicht mehr als fraglich, ob Hillary Clinton die drohende Niederlage noch abwenden kann.
Denn bei der Wahl zwischen Trump und Clinton hat ersterer den großen Vorteil, dass dessen frauenfeindliche Äußerungen und Neigung zu sexuellen Belästigungen bereits vor ein paar Wochen bekannt wurden und sich die Wähler mittlerweile bereits daran gewöhnt haben. Ganz anders die Ermittlungen des FBI gegen Clinton, die zu großen Teilen aus einem Aufwärmen bereits bekannter Tatsachen besteht, aber möglicherweise mit geheimnisvollen neuen Erkenntnissen gespickt sind.
Hauptsache ein eindeutiger Charakter
Mit anderen Worten: Die Wähler wissen ziemlich genau – und wenn es auch moralisch noch so fragwürdig wäre – worauf sie sich bei einer Wahl Trumps einlassen würden. Es ist genau das, was gerade desillusionierte Wähler an ihrem Kandidaten lieben: Vertrauenswürdigkeit, Führungsqualitäten und – egal wie – ein Abrechnen mit dem politischen Establishment. Und Clinton? Sie steht nicht nur für ein „weiter so“ des Althergebrachten, sondern bleibt für viele Wähler undurchsichtig. Selbst wenn die Ermittlungen des FBI so kurz vor den Wahlen als zeitlich unpassend und ihr Direktor implizit der Parteilichkeit für den republikanischen Kandidaten beschuldigt wird, ist Clinton den Wählern zumindest wahrnehmungstechnisch eine Wundertüte: Wer weiß was da noch alles kommen mag.
Die US-Wahlen erinnern mich stark an das Brexit-Votum der Briten vor ein paar Monaten. Auch dort fühlten sich kurz vor dem Referendum die Brexit-Gegner in Partylaune, um anschließend eine kalte Dusche nehmen zu müssen. Damals wie heute frage ich mich auch, ob die Entscheider mit dem Referendum bzw. mit der US-Präsidentenwahl zumindest insofern überfordert sind, als wohl kaum jemand von Ihnen der Lage sein dürfte, sämtliche Folgen ihres Votums aus allen Blickwinkeln auch mit allen Konsequenzen zu überblicken. Und gerade in dieser schwierigen Entscheidungssituation bedienen sich die meisten Menschen sogenannter Heuristiken, Faustregeln, die im richtigen Kontext durchaus hilfreich sein können, weil sie die Komplexität schwer überschaubarer Sachverhalte verringern und zu schnellen Ergebnissen führen können. So bevorzugen sie etwa leicht verfügbare Informationen und Sachverhalte, die gerade Donald Trump offensiv präsentiert.
Abneigung gegen das Mehrdeutige (Ambiguitätsaversion)
Leider kommt es eben auch häufig zu ungenauen und verzerrten Einschätzungen, besonders bei ökonomischen und politischen Sachverhalten. Und die Experten der noch jungen Wissenschaftsdisziplin „Behavioral Public Choice“ sind davon überzeugt, dass sich die Wähler gerade in einem emotional aufgeladenen Umfeld wie die US-Präsidentschaftswahl für die Option entscheiden werden, mit der sie sich im Augenblick wohl fühlen, während Kosten oder Nutzen ihrer Wahl in den Hintergrund treten. Genauso wie die Börsianer klare Sachverhalte gegenüber unsicheren Situationen bevorzugen, möchten auch die Wähler wissen, mit wem sie es zu tun haben als sich für eine mit Zweifeln (=Mehrdeutigkeit) behaftete Persönlichkeit (Ambiguitätsaversion) zu entscheiden.
Für die Börsianer bedeutet eine Wahl Donald Trumps genau das Gegenteil. Nach einer kurzen Phase der Unsicherheit Rückbesinnung auf den Aufwärtstrend im US-Aktienmarkt und anderswo. Ein knapper Wahlausgang – egal wer gewinnen sollte – bedeutet jedoch fortgesetzte Unsicherheit, denn der Verlierer wird alles versuchen, das Wahlergebnis als manipuliert oder gefälscht darzustellen und im Zweifel seine Niederlage nicht anerkennen. Ganz zu schweigen davon, wenn die/der neue Präsident(in) gegen eine Mehrheit im Senat oder gar im Repräsentantenhaus regieren muss.
Nicht zwingend wie nach dem Brexit-Votum
Deswegen dürfte auch eine Strategie, vieler Investoren, die auf eine ähnliche Marktreaktion wie nach dem Brexit-Votum hoffen, dieses Mal möglicherweise nicht ziehen. Denn es ist keineswegs gesichert, dass die Börsen genauso wie im Juni mit einem kurzen Crash und mit einer sich anschließenden deutlichen Erholung reagieren werden.
Immerhin haben sich die Anleger, die die Börse Frankfurt wöchentlich befragt, zuletzt nicht mehr ganz so optimistisch gezeigt. Was das für die kommenden Tage bedeutet, entnehmen Sie bitte meinem heutigen Kommentar HIER.
Robert Michel
Normalerweise würde ich zustimmen, dass der Einfluss des Präsidenten auf die Entwicklung nur sehr begrenzt ist und auch die Wahl Trumps nur begrenzten Schaden anrichten würde. Nun ist Trump jedoch ein überzeugter Protektionist. Wenn Trump nicht vom Parlament gestoppt wird, könnte die Politik Trumps die USA tatsächlich erneut in die Rezession stürzen.